: Bahnflucht aus Berlin wird Kanzlerinnensache
Bundeskabinett erörtert die Mehdorn-Entscheidung. Wowereit gerät nach Schelte am Bahnchef selbst in die Kritik
Mit der geplanten Verlegung der Bahnzentrale von Berlin nach Hamburg wird sich nun die Bundesregierung beschäftigen. Dies kündigte der zuständige Minister Wolfgang Tiefensee (SPD) gestern an. Tiefensee, der sowohl als Minister für den Aufbau-Ost als auch als Verkehrsminister mit dem Thema befasst ist, ließ gestern über einen Sprecher verkünden: „Die Bundesregierung ist im Gespräch mit der Bahn.“ Darüber hinaus werde das Thema am Dienstag im Kabinett besprochen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die von Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) persönlich zum Handeln aufgefordert wurde, hält sich bislang allerdings mit einer Stellungnahme zurück. Beim Bundeskongress der Kommunalpolitischen Vereinigung von CDU und CSU in Hamburg wollte sie sich am Freitagabend nicht zum Thema äußern. Hinzu kommt, dass Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) verkündete, er habe Angela Merkel persönlich von der Entscheidung der Bahn AG unterrichtet.
Umso mehr stand dagegen Klaus Wowereit selbst am Wochenende im Mittelpunkt der Kritik. Nachdem der Regierende beim SPD Parteitag am Samstag Bahnchef Hartmut Mehdorn scharf attackiert hatte, reagierte der FDP-Fraktionschef Martin Lindner: „Wowereit ist eine Schlafmütze, und Wirtschaftssenator Harald Wolf kann sein Geschäft nicht.“ Auch der CDU-Fraktionschef Nicolas Zimmer warf Wowereit vor, sich nicht frühzeitig um das Problem gekümmert zu haben.
Wowereit selbst hatte am Samstag vor den SPD-Delegierten erklärt: „Wenn Herr Mehdorn die Koffer gepackt haben will, dann sollten wir ihn davon nicht abhalten. Aber die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bleiben in Berlin.“ Außerdem, versicherte der Regierende, habe der Senat alles getan, damit sich das bundeseigene Unternehmen in der Hauptstadt wohl fühle. „Es kann nicht sein, dass sich der Bund als Eigentümer so auf der Nase herumtanzen lässt.“
Doch das scheint nur die eine Hälfte der Wahrheit zu sein. Die andere: Das Verhältnis zwischen dem Bahnchef und dem Berliner Senat gilt schon seit langem als gespannt. Das betrifft nicht nur den Regierenden Bürgermeister, sondern auch seinen Finanzsenator. Vor der Unterzeichnung eines neuen Vertrags mit der Bahn über den Betrieb der Berliner S-Bahn im Sommer 2004 hatte Thilo Sarrazin (SPD) verkündet, die Bahn liege mit ihrem Angebot weit über dem der Konkurrenz – und senkte damit die Zuwendungen des Senats um jährlich 26 Millionen Euro. Für den Betrieb des S-Bahn-Rings hatte sich auch Bahnkonkurrent Connex beworben.
Der grüne Verkehrspolitiker und Europaabgeordnete Michael Cramer glaubt indes nicht, dass bei der Bahn bereits das letzte Wort gefallen sei. „Mehdorn schießt oft aus der Hüfte und hat hinterher Mühe, die Kugeln einzufangen“, sagt Cramer. Allerdings sei die Reaktion von Klaus Wowereit kontraproduktiv gewesen. „Das war unsouverän“, meinte Cramer. UWE RADA