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Archiv-Artikel

nebensachen aus jerusalem Hochkonjunktur für Familienpsychologen: die lieben Kleinen – immer im Mittelpunkt

„Als ich ein kleiner Junge war“, so berichtet mein pensionierter Nachbar, „musste das letzte Stück Kuchen für meinen Großvater aufgehoben werden“. Inzwischen ist es umgekehrt, die Süßspeise bleibt für den Enkel reserviert. Sahnetorte, Eiskreme, Schokoriegel, Kekse, Chips und „Bamba“ (Erdnusswürmchen) – für die Kleinen nur das Beste. Nichts erfreut das Elternherz mehr als das Malmen der winzigen Bäckchen. Ein, zwei Tüten Junkfood täglich, darunter geht nichts, sonst wird Protest geschlagen. „Ihr wisst ja, dass ich doch gewinne“, ist die unwidersprochene Botschaft der ohrenbetäubenden Sirenen.

Nicht, dass es den Israelis an Bewusstsein für gesunde Ernährung mangelte. In der Umgebung der Hightech-Zentren haben Salatbars mit strikt aus Öko-Anbau stammendem Gemüse längst die traditionellen Falafelbuden ersetzt. Doch wer kann schon dem fordernden Blick des ungeduldigen Filius standhalten? Der Konfrontation von vornherein aus dem Weg gehen – so geht das mit der modernen Erziehung in Israel. Da werden schlechte Zähne und Übergewicht eben in Kauf genommen.

Die Norm ist, dass beide Eltern arbeiten und spät nach Hause kommen. Ständig gepeinigt vom schlechten Gewissen fällt es schwer, nein zu sagen, egal wie sehr man sich vorgenommen hatte, vielleicht den Fernseher mal für einen Tag lang ausgeschaltet zu lassen. Ergebnis ist Hochkonjunktur für Familienpsychologen, die sich zunehmend auf ein Problem konzentrieren: den Nachwuchs wieder unter Kontrolle zu bringen.

„Was denn, keine Cola da?“, fragt die neue Freundin meines Fünfjährigen fassungslos, als sie, das erste Mal unser Haus betretend, gleich mal den Inhalt des Kühlschranks prüft. Gute Manieren sind bei israelischen Kindern selten. Wo sollen die auch herkommen, schließlich drängelt und schubst Papa ja auch, wenn er an der Kasse im Supermarkt steht. Allerdings findet in Ansätzen ein Umdenken statt. Der neue Trainer des Fußballteams Beitar Jerusalem setzte als ersten Akt im Amt durch, dass die Spieler erst dann mit dem Essen beginnen, wenn alle am Tisch sitzen.

Das mit dem Grenzen setzen sei so eine Sache, erklärt mir eine befreundete Mutter, man wolle ja der Persönlichkeitsentwicklung keinen Abbruch tun. In diesem Punkt funktioniert die Erziehung: Die Kinder sind auffallend selbstbewusst. Dafür muss dann aber auch die komplette Familie, inklusive Tanten und Onkels, antreten, wenn der Jüngste nach drei Monaten Klavierunterricht sein erstes Konzert gibt. Denn Bildung wird groß geschrieben, vor allem außerhalb der Schule.

Gängige Nachmittagsbeschäftigung der Eltern ist, die Kinder zu chauffieren, zum Malkurs, Reiten, Yoga – das Angebot ist bunt, auch auf dem Land. Das Herumkutschieren nimmt für die Eltern kein Ende. Selbst wenn der Nachwuchs schon Uniform trägt, machen sich Mama und Papa regelmäßig auf, um zu gucken, ob’s dem jungen Soldaten auch gut geht. Und natürlich, um Fresspakete abzuliefern, bestückt mit dem, was Herz und Magen am meisten begehren: Waffeln, Bamba, Schokoriegel.

SUSANNE KNAUL