Kolumne Geräusche: Ist das noch Fußball?

Popper sind wie vom Erdboden verschluckt, dafür ist heute alles Pop. Was soll das?

Großen Lieben gehen irgendwann den Bach hinunter. Das ist so, und so wars auch mit Björk und mir. Ich liebte ihre frühen Soloplatten so sehr, dass ich dem süßen Irrtum aufsaß, diese Liebe müsste auf Gegenseitigkeit beruhen, könnte von Dauer sein, Früchte tragen bis in den Herbst des Lebens hinein, hach. Vor sieben oder acht Jahren begegneten wir uns dann das letzte (und erste) Mal persönlich. Das war im schummrigen Aufzug des Hotel Costes in Paris ("Costes, was es wolle"), wo ich ein Interview mit einem ihrer Kollegen führen sollte. Obschon wir beide kein Wort miteinander sprachen, knisterte und funkte es zwischen uns, als hockten wir unter einem schwedischen Nachthimmel am Lagerfeuer. Als sie dann aber im dritten Stock mit einem zarten "Au revoir" ausstieg und ich ihr nur dumpf hinterherstarren konnte, war meine ohnehin nur minimale Chance auf ein Leben an ihrer Seite endgültig verweht.

Gestern Reykjavík, heute New York, morgen Mali, übermorgen Yokohama - das hätte ich sowieso nicht lange durchgehalten. Damals war sie überdies längst mit dem Künstler Matthew Barney verheiratet. Ich verstehe nicht, was Frauen immer an genialen Männern finden, die ebenso stein- wie einflussreich und auch noch zwei Jahre jünger sind als sie selbst. Seis drum. Seitdem jedenfalls ließ ich Björk meine Verachtung spüren, indem ich ihre Platten mit einem Schulterzucken abtat.

Bis ich gestern ihr neues Album "Biophilia" hörte - und geplättet war. Jawohl, diese kruden Klänge zwischen Krzysztof Penderecki und Györgi Ligeti bewirkten bei mir eine flunderhafte Plättung an Leib und Seele. Kaum hatte ich meine Freudentränen getrocknet und meinen Kiefer wieder eingerenkt, stand mir ein Cartoon des unsterblichen Bernd Pfarr vor Augen. Darauf ist ein Männchen zu sehen, das, mit Langlaufskiern an den Füßen und gewichtbewehrter Langhantel in den Händen, vom 10-Meter-Turm springt, darunter die Frage: "Ist das noch Fußball?", oder, um bei Björk zu bleiben: Ist das noch Pop?

Schließlich ist sogar der Papst neuerdings Pop. War überall zu lesen. Demnach wäre Präsident Obama beschwingter Dixieland und Putin eine russische Volksweise auf Steroiden. Die schwarz-gelbe Koalition müsste man nur als progressives Eurodance-Konzeptalbum hören, dann könnte man beruhigt auf die harmonische Auflösung am Ende warten. Die Bild wäre eines dieser Stücke von Dieter Bohlen, aufgedunsen und kalt wie eine Wasserleiche. Legt man das Ohr ganz nah an die FAZ, kann man hören, wie sich in die Brandenburgischen Konzerte von Bach immer wieder strenge Militärmärsche mischen. Der Spiegel hat sich längst zur Lady Gaga der deutschen Presselandschaft aufgehübscht. Und die taz? Klingt auch immer öfter wie eine Punk-Coverversion des seelensaugenden "Sind so kleine Hände" von Bettina Wegner. Kurzum: Ist alles Pop. Was war dann noch mal Björk? Ach ja, Kunst.

Text: "Ich hab geflucht ich hab geweint / Jetzt ist der Tag mein bester Freund / Jetzt weiß ich, daß ich richtig lieg / Die Rettung lautet Popmusik" (Heinz Rudolf Kunze) Musik: Das "Pfff-lopp" einer Flasche Flensburger.

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