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Archiv-Artikel

Feilschen bis zur letzten Minute

USA I Im amerikanischen Haushalt drohen wieder einmal Kürzungen in Milliardenhöhe. Die Einsparungen träfen alle militärischen und zivilen Einrichtungen gleichermaßen

Sequester, was Beschlagnahme heißt, ist das „schmutzigste Wort Washingtons“

AUS WASHINGTON ANTJE PASSENHEIM

Auf die USA rollt die Sparkeule zu: Ab Freitag drohen dem Haushalt der größten Volkswirtschaft der Welt massive Ausgabenkürzungen. Gelingt dem zerrissenen Kongress nicht noch in letzter Minute ein Kompromiss zum Schuldenabbau, greifen automatisch Einschnitte von 1,2 Billionen Dollar (rund 900 Milliarden Euro) bis zum Jahr 2021. Und zwar querbeet, nach dem Rasenmäherprinzip. Die Wirtschaft warnt, die Bevölkerung bangt, und Republikaner und Demokraten üben sich in gegenseitigen Schuldzuweisungen.

Die drohenden Einschnitte „werden die Einsatzbereitschaft unseres Militärs schmälern“, warnte Präsident Barack Obama am Dienstag auf einer U-Boot-Werft in Newport, Virginia. Die Jobs der Werftarbeiter stünden auf dem Spiel, würden sich die Republikaner nicht endlich bewegen. Die wiederum werfen Obama vor, maßlos zu übertreiben. „Der Präsident missbraucht unsere Militärs für seine Propaganda, um seine Steuerpläne durchzusetzen“, ärgerte sich der republikanische Sprecher des Abgeordnetenhauses, John Boehner.

Einschnitte bei der Armee, Arbeitsplatzabbau, Kürzungen bei Sozialleistungen und Schulen – die apokalyptischen Beschwörungen, die vor allem seitens der Demokraten seit Tagen durch die Medien geistern, tragen einen Namen: „Sequester“, was so viel heißt wie Beschlagnahmung oder Zwangsverwaltung. Hinter dem mysteriösen Namen, den ein ABC-News-Blogger als derzeit „schmutzigstes Wort Washingtons“ bezeichnete, steckt ein hausgemachtes Problem.

Hintergrund ist der Streit über den Schuldendeckel, den sich Demokraten und Konservative im Sommer 2011 geliefert haben. Letztere knüpften damals ihre Zustimmung zum weiteren Pump an die Bedingung zu massiven Einsparungen. Um sich selbst unter Druck zu setzen, knebelte sich der Kongress mit einem Ultimatum: Komme es bis 2013 nicht zu einem beschlussfähigen Sparkurs, treten automatische Kürzungen in Kraft. Zu Beginn des Jahres wurde das Datum dann noch einmal vertagt. Doch auch diese Gnadenfrist half nicht, das Damoklesschwert abzuwenden. Für das laufende Haushaltsjahr stehen nun von März bis September Kürzungen von 85 Milliarden Dollar an.

Nach Berechnungen des unabhängigen Congressional Budget Office werden die Sparmaßnahmen die US-Wirtschaft 0,6 Prozentpunkte an Wachstum und 750.000 Arbeitsplätze kosten. Wegen der zu erwartenden Einschnitte, die zivile und militärische Einrichtungen gleichermaßen treffen, seien vorsorglich Hunderte illegale Einwanderer aus dem Gefängnis entlassen worden, meldeten die Einwanderungsbehörden am Dienstag.

Die Demokraten hoffen nach wie vor auf Bewegung. Obama plädiert für ein „ausgewogenes“ Programm aus Sparmaßnahmen und eine Schließung der Steuerschlupflöcher für Reiche. Die Republikaner setzen hingegen allein auf den Abbau von Ausgaben, vor allem wollen sie an die Sozialleistungen – und von Steuererhöhungen nichts wissen. Die Demokraten wiederum schieben den Republikanern den Schwarzen Peter zu und machen sie für den Stillstand verantwortlich. „Es gibt zu viele Republikaner im Kongress, die sich auch nicht einen Millimeter bei den Steuern bewegen“, klagte Obama. Er sei auch zu einer Zwischenlösung bereit, um das drohende Sparfiasko abzuwenden. Die Republikaner haben sich noch Bedenkzeit erbeten. „Wir haben noch nicht entschieden, wie viele Alternativen wir diese Woche noch anbieten“, erklärte der konservative Minderheitsführer im Senat, Mitch McConnell.