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Kommentar PflegereformPflege für die Falschen

Heike Haarhoff
Kommentar von Heike Haarhoff

Die Pflegereform von Bahr läuft auf eine Subvention privater Unternehmen hinaus. Chronisch Kranke, Arme und Alte bleiben außen vor.

S teuerliche Subventionen sind selten sozial gerecht. Von der Pendlerpauschale profitieren nur diejenigen, die überhaupt Arbeit haben und sich ein Auto leisten können. Insofern könnte man glatt auf die Idee kommen, die Idee von FDP-Gesundheitsminister Daniel Bahr zu verteidigen, private Pflegezusatzversicherungen zu subventionieren.

Wer freiwillig und zusätzlich zur Pflichtversicherung für den eigenen Pflegefall vorsorgt, der trägt immerhin dazu bei, Kosten, die ansonsten im Zweifel von den Angehörigen oder von der Sozialhilfe bezahlt werden müssten, zu dämpfen. Muss man es da nicht für hinnehmbar halten, dass eben nicht alle Versicherte in den Genuss einer solchen Versicherung kommen können?

Nein, man muss nicht. Denn die staatliche Pflege-Förderung ist nicht nur in höchstem Maße ungerecht, sie ist möglicherweise sogar verfassungswidrig. Sie greift ausgerechnet für diejenige Gruppe nicht, die sie am nötigsten hätte und für die der Staat eine besondere Fürsorgepflicht hat: Menschen mit dem statistisch höchsten Pflege- und Bedürftigkeitsrisiko. Chronisch Kranke, Arme und Alte also.

Wolfgang Bors
Heike Haarhoff

ist gesundheitspolitische Redakteurin der taz.

Und das ist nicht alles. Die Gesunden, Reichen und Jungen, diejenigen Menschen mit geringem Pflegerisiko also, die von den privaten Versicherern mit Kusshand genommen werden dürften, werden ihre eingezahlten Beiträge vielleicht überhaupt nicht wiedersehen. Denn ausgezahlt wird nur im Pflegefall. Derzeit aber werden, allen Horrorzahlen künftiger Demenz zum Trotz, nur 20 Prozent einer Alterskohorte pflegebedürftig.

Der Pflegereform von Bahr ist nichts anderes als ein Subventionsprogramm für private Unternehmen. Das aber sollten sich Steuerzahler und Finanzminister nicht bieten lassen.

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Heike Haarhoff
Redakteurin im Inlands- und im Rechercheressort
Heike Haarhoff beschäftigt sich mit Gesundheitspolitik und Medizinthemen. Nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr in einem Kinderheim bei Paris ab 1989 Studium der Journalistik und Politikwissenschaften an den Universitäten Dortmund und Marseille, Volontariat beim Hellweger Anzeiger in Unna. Praktika bei dpa, AFP, Westfälische Rundschau, Neue Rhein Zeitung, Lyon Figaro, Radio Monte Carlo, Midi Libre. Bei der taz ab 1995 Redakteurin für Stadtentwicklung in Hamburg, 1998 Landeskorrespondentin für Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern und von 1999 bis 2010 politische Reporterin. Rechercheaufenthalte in Chile (IJP) und den USA (John McCloy Fellowship), als Stipendiatin der Fazit-Stiftung neun Monate Schülerin der Fondation Journalistes en Europe (Paris). Ausgezeichnet mit dem Journalistenpreis der Bundesarchitektenkammer (2001), dem Frans-Vink-Preis für Journalismus in Europa (2002) und dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse (2013). Derzeit Teilnehmerin am Journalistenkolleg "Tauchgänge in die Wissenschaft" der Robert Bosch Stiftung und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
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5 Kommentare

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  • R
    ralf

    Kritik am "Pflege-Riester" ist zwar berechtigt, aber in dieser Form leider ein bisschen naiv und holzschnittartig (wie im übrigen auch die Ausführung zur Entfernungspauschale).

     

    Es steht zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht genau fest, wie der "Pflege-Riester" ausgestaltet wird. Dem Einwand, dass die Verträge für chronisch Kranke prohibitive Beiträge hätten, kann beispielsweise mit Erfahrungen von der privaten Pflegepflichtversicherung oder dem Renten-Riester begegnet werden.

     

    In beiden Fällen unterbindet der Staat die Einbeziehung des vollen Instrumentariums zur risikoäquivaleten Prämienkalkulation (z.B. Unisex-Tarife im Renten-Riester).

     

    Die Erfahrungen aus dem Renten-Riester zeigen zudem, dass auch Ärmere profitieren können, solange neben der steuerlichen Bevorteilung dieser Verträge (die nur Mittel- und Oberschichten nützt) ein pauschaler Mindestzuschuss aus Steuermitteln gewährt wird.

     

    Die Erfahrungen aus dem Renten-Riester zeigen, dass diese Einwände gegen eine solch holzschnittartige Kritik nicht theoretisch ist, sondern vielmehr bereits Anwendung findet.

     

    Die Kritik müsste eigentlich viel fundamentaler sein.

     

    Warum sollen sich im gegenwärtigen System einer Teilkasko-Pflegeversicherung weite Teile der Bevölkerung privat versichern, wenn die Finanzierung stationärer Leistungen beispielsweise zu jeweils rund einem Drittel aus Pflegeversicherung, privaten Mitteln und Sozialhilfe erfolgt?

     

    die Pflegeversicherung ist viel zu dünn ausgestattet und legt die private Vorsorge nicht fest, wie viel man auf eine Grundversorgung drauf bekommt, sondern wie viel die Sozialhilfe nicht für die Grundversorgung beisteuern muss.

     

    Freiwillige private Vorsorge (mit ggf. staatlicher Förderung) macht erst dann Sinn, wenn wir uns über das Extra bei der Pflege unterhalten, aber das bisherige System leistet nicht einmal eine menschenwürdige Grundversorgung.

     

    Das letztere ist allerdings eine kollektive Aufgabe einer Gesellschaft, die durch öffentliche Mitteln erbracht werden sollte. Erst wenn das erfüllt ist, braucht man sich über die steuerliche Förderung privater Vorsorge Gedanken machen.

  • R
    Ralf

    Kritik am "Pflege-Riester" ist zwar berechtigt, aber in dieser Form leider ein bisschen naiv und holzschnittartig (wie im übrigen auch die Ausführung zur Entfernungspauschale).

     

    Es steht zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht genau fest, wie der "Pflege-Riester" ausgestaltet wird. Dem Einwand, dass die Verträge für chronisch Kranke prohibitive Beiträge hätten, kann beispielsweise mit Erfahrungen von der privaten Pflegepflichtversicherung oder dem Renten-Riester begegnet werden.

     

    In beiden Fällen unterbindet der Staat die Einbeziehung des vollen Instrumentariums zur risikoäquivaleten Prämienkalkulation (z.B. Unisex-Tarife im Renten-Riester).

     

    Die Erfahrungen aus dem Renten-Riester zeigen zudem, dass auch Ärmere profitieren können, solange neben der steuerlichen Bevorteilung dieser Verträge (die nur Mittel- und Oberschichten nützt) ein pauschaler Mindestzuschuss aus Steuermitteln gewährt wird.

     

    Die Erfahrungen aus dem Renten-Riester zeigen, dass diese Einwände gegen eine solch holzschnittartige Kritik nicht theoretisch ist, sondern vielmehr bereits Anwendung findet.

     

    Die Kritik müsste eigentlich viel fundamentaler sein.

     

    Warum sollen sich im gegenwärtigen System einer Teilkasko-Pflegeversicherung weite Teile der Bevölkerung privat versichern, wenn die Finanzierung stationärer Leistungen beispielsweise zu jeweils rund einem Drittel aus Pflegeversicherung, privaten Mitteln und Sozialhilfe erfolgt?

     

    die Pflegeversicherung ist viel zu dünn ausgestattet und legt die private Vorsorge nicht fest, wie viel man auf eine Grundversorgung drauf bekommt, sondern wie viel die Sozialhilfe nicht für die Grundversorgung beisteuern muss.

     

    Freiwillige private Vorsorge (mit ggf. staatlicher Förderung) macht erst dann Sinn, wenn wir uns über das Extra bei der Pflege unterhalten, aber das bisherige System leistet nicht einmal eine menschenwürdige Grundversorgung.

     

    Das letztere ist allerdings eine kollektive Aufgabe einer Gesellschaft, die durch öffentliche Mitteln erbracht werden sollte. Erst wenn das erfüllt ist, braucht man sich über die steuerliche Förderung privater Vorsorge Gedanken machen.

  • R
    rofl

    "Von der Pendlerpauschale profitieren nur diejenigen, die überhaupt Arbeit haben und sich ein Auto leisten können."

     

    Wer solchen Bullshit von sich gibt, sollte 1) das Recherchieren lernen und 2) aus seinen völlig flaschen Spinnereien nicht noch Spinnereien für logisch nicht verknüpfte Themen konstruieren.

     

    6 setzen.

  • F
    Florentine

    Entschuldigung, das von Bahr kann man ja nicht wirklich als Pflegeversicherung bezeichnen. Aber auch die Autorin erzählt schlicht Blödsinn: jemand der sich zusätzlich privat Pflegeversichern will hat keinen Vorteil. Im Umkehrschluss: niemand der "chronisch krank, arm und alt ist,bleibt aussen vor".

    da schreibt jemand über etwas, von dem sie keine Ahnung hat. Pure und plumpe ideologische Verdummung.

  • G
    goofy

    Mit der Entfernungspauschale, im Volksmund Pendlerpauschale, werden im deutschen Einkommensteuerrecht die Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte pauschaliert. Die Entfernungspauschale mindert das zu versteuernde Einkommen. Die Pauschale kann von allen Arbeitnehmern und Selbständigen in Anspruch genommen werden, unabhängig von der Höhe der tatsächlichen Aufwendungen und gleichgültig, ob sie zu Fuß, mit dem Fahrrad, dem Motorrad, mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit dem Kfz zur Arbeitsstelle gelangen.