Foto-Ausstellung: Auratische Motoren

Reklame auf Leuchtkästen durchdringt die Städte. Die Fotografin Beate Gütschow hat dieses Prinzip für ihre Stillleben übernommen. Zu sehen sind ihre Arbeiten im Braunschweiger Museum für Photographie.

Das Styling eines funktionslosen Gegenstands: Arbeit zum Thema Perfektion (Ausschnitt). Bild: Beate Gütschow, dpa

BRAUNSCHWEIG taz | "Perfektion bis ins kleinste Detail" - mit diesem stereotypen Werbeslogan ließe sich heute fast jedes höherwertige Industrieprodukt vermarkten. Dazu gehört eine spezielle Sorte Fotografie, ebenso perfekt inszeniert, ausgeleuchtet, technisch produziert. Mit einer Präsentationsform dieser Art ist wohl jeder täglich konfrontiert: Das City-Light-Poster ist eine inwendig illuminierte, flache transparente Box, die vornehmlich an Haltestellen anzutreffen ist, um ihre Werbebotschaft zu verbreiten.

"Was entsteht, wenn die Perfektion bis ins kleinste Detail reicht" ist der Titel einer Arbeit der Fotografin Beate Gütschow, die derzeit in der Ausstellung "Produktpolitik" im Museum für Photographie Braunschweig zu sehen ist. Gütschow wählt sowohl eine technisch perfekte Inszenierung ihres Motivs, als auch die Form des Leuchtkastens.

Der Leuchtkasten bietet neben seiner Größe noch andere bildästhetische Besonderheiten. Die hinterleuchteten Bilder bestechen durch Brillanz, Konturenschärfe und Kontrastreichtum. Und die Kästen operieren, natürlich unterschwellig, mit einem subtilen psychologischen Moment, nämlich ihrer formalen Analogie zu historischen Kirchenfenstern - nur dass heutzutage profanste Produkte damit auratisiert, geradezu religiös aufgeladen werden sollen.

Aber was hat der aus der Werbung stammende Leuchtkasten nun in einem Museum für Fotografie zu suchen? Beate Gütschow, 1970 in Mainz geboren, seit 2011 Professorin an der Medienhochschule Köln, hat sich in den letzten Jahren gerade diese Reproduktionstechnik für ihre Aufnahmen zu eigen gemacht. Sie widmet sich einer ganz eigenen Sorte farbiger Industriefotografie, nachdem sie zuvor fiktive Architektur- und Stadtansichten aus Reisefotos vom Balkan oder in den vorderen Orient zu großformatigen Schwarz-Weiß-Bildern digital collagierte.

Gütschows in Abbilder umgesetzte Sujets sind alte, ausrangierte und somit eigentlich wertlose Bestandteile von Automobilen. Oder es sind verlassene Räume ohne offenkundige Nutzungsgeschichte. Diese Sujets setzt Gütschow nach allen Regeln der Werbekunst in Szene und produziert geradezu klinisch perfekte Fotos.

Ein alter Sechszylindermotor und ein Häufchen Staub beispielsweise werden wie Steinsetzungen eines japanischen Zengartens arrangiert, der magisch dunkle, spiegelnde Untergrund und eine kulissenhaft in den Raum geschobene Tür sorgen für rätselhafte Tiefenstaffelungen. Nur widmet Gütschow das perfekte Fotostyling eben einem, in der dargebotenen Form vollkommen funktionslosen Gegenstand. Ein offizieller Marktwert, der mit dem Leuchtkasten beschworen werden könnte, ist nicht mehr gegeben.

Das Spiel mit dieser Repräsentationsform, mit den klassischen, an Stillleben erinnernden Bildaufbauten und mit dem visuell betörenden, kommerziellen Medium Leuchtkasten wird von Beate Gütschow auf die Spitze getrieben - und langweilt nach spätestens dem dritten Leuchtkasten umso mehr.

Diese Gefahr war wohl der Künstlerin, zumindest aber dem Museumsteam bewusst. Deshalb sind den Arbeiten in der Ausstellung zwei Serien klassische Produktfotografie der Neuen Sachlichkeit hinzugestellt. Einerseits handelt es sich um Aufnahmen von Albert Renger-Patzsch: Die Bilder aus dem Jahr 1928 stammen aus der legendärer Serie der hölzernen Schuhleisten und ihrer Vorstufen bei ihrer Produktion im Fagus-Werk in Alfeld an der Leine.

Zum Zweiten - und dies ist eine Entdeckung - hängen da 17 Fotografien vom Elisabeth Hase (1905 - 1991). Der Frankfurter Fotografin gelang es um 1930, den Objekten auf ihren Schwarz-Weiß-Bildern mit technisch bescheidenen, stillen Mitteln ein berührendes Eigenleben, mitunter surrealen Witz einzuhauchen. Zum Beispiel, wenn sich Würfelzucker zu kleinen Hochhäusern stapelt oder ein Seifenschaumgebirge im Waschbecken aus den zwei Wasserhähnen zu quellen scheint.

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