BARBARA DRIBBUSCH ÜBER DIE FDP-VERSPRECHEN AUF STEUERSENKUNG : Führung ohne Verantwortung
Schon junge Leute lernen an manchen Schulen in sogenannten Leadership-Kursen, dass Führung vor allem bedeutet, Verantwortung zu übernehmen. Wer ChefIn ist, muss das Gesamtwohl des Kollektivs im Auge behalten. So viel Wissen könnte man auch von einer Regierungspartei erwarten. Doch die Freidemokraten befinden sich derzeit im freiwilligen Selbstversuch: Vielleicht braucht man das ganze Gesumms um Verantwortung und Führungsqualitäten gar nicht, um am Ruder zu bleiben? Könnte doch sein.
Die FDP-Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger hat jetzt erklärt, man wolle die Steuern weiter senken, ganz gleich, was die kommenden Steuerschätzungen bringen. Man könne doch anderweitig sparen – etwa bei den Ausgaben der Bundesagentur für Arbeit. In einem hoch verschuldeten Staat die Steuern senken und ausgerechnet bei der Institution sparen zu wollen, die dank der Kurzarbeit Massenentlassungen verhinderte – das hat mit Verantwortung fürs Gemeinwohl nichts mehr zu tun. So etwas fordern Parteien höchstens in der Opposition, wenn sie nichts entscheiden und vor sich hin delirieren dürfen.
Doch vielleicht ist die Regierungspartei FDP gar nicht durchgeknallt? Und glaubt einfach nur unbeirrt an ihre Zielgruppe? Möglicherweise ist vielen Steuerzahlern die Aussicht auf ein bisschen mehr „eigenes“ Geld tatsächlich wichtiger als die Frage, ob die öffentlichen Kassen noch ausreichend gefüllt sind. Weil sich viele Bürger lieber auf sich selbst verlassen als aufs Kollektiv und dessen Führung.
So wird Politik zum Privatfernsehen: Die Zielgruppe muss nur ausreichend groß sein, dann bleibt man im Programm. Dass jetzt ausgerechnet die Liberalen, die in ihrem Wertekanon gern auf Elite machen, sich aus der Verantwortung fürs Gemeinwohl verabschieden, ist allerdings eine bemerkenswerte Entwicklung.