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Taz-Serie: Grenzen des WachstumsGlücksgefühl statt mehr Konsum

Für Andrew Simms ist es klar: Nicht die Wachstumsraten sollen Maßstab für die Wirtschaft sein, sondern das Glücksempfinden der Bevölkerung und der Ressourcenverbrauch.

Der "Happy Planet Index" bezieht den Verbrauch von Ressourcen ein. Bild: reuters

BERLIN taz | Nicht die Quartalsergebnisse der Firmen, nicht die Aktienkurse oder die Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts sollten der Maßstab für den Erfolg der Wirtschaft sein - sondern das schiere Glücksgefühl der Menschen. Mit dieser radikalen Forderung meldet sich Andrew Simms vom britischen Thinktank "New Economics Foundation" (NEF) in der Wachstumsdebatte zu Wort.

Er fordert eine Abkehr vom Wachstumsgedanken, empfundenes Glück soll Maßstab für politisches Handeln werden, und eine 21-Stunden-Woche könne zu mehr Gerechtigkeit und weniger Konsum führen. Folgerichtig hat die NEF auch eine Rangliste der Länder entwickelt: allerdings nicht nach Kreditwürdigkeit wie die konventionellen Ratingagenturen, sondern nach dem Glücksgefühl der Einwohner im "Happy Planet Index".

Simms sieht das bisherige Wachstumsdenken an einer Grenze: Eine effektive Bekämpfung des Klimawandels sei unter der Voraussetzung einer weiter wachsenden Wirtschaft schlicht nicht möglich. "Wachstum ist unmöglich", heißt eine Veröffentlichung von ihm.

Wachstum

Der Mythos: Viele gehen davon aus, dass die Wirtschaft immer weiter wachsen muss, um die Welt zu ernähren.

Die Kritik: Spätestens seit der Club of Rome 1972 "Die Grenzen des Wachstums" vorstellte, ist klar: Wachstum ist auf einem endlichen Planeten nicht unendlich.

Die Alternativen: Etliche Wachstumsskeptiker beschäftigen sich mit diesen Fragen. Die einen fordern eine Verlangsamung des Wachstums, andere einen Stopp, einige eine Rücknahme. Die taz stellt die wichtigsten Köpfe vor.

Knapper werdende fossile Rohstoffe machten die Situation nicht besser, sondern schlimmer, da der billigste Weg meist der Umstieg auf noch klimaschädlichere Energieträger wie Kohle ist. Wolle man die Armut der Erde nur mit Wirtschaftswachstum bekämpfen, brauche man die ökologische Kapazität von 15 Planeten, erklärt der Wissenschaftler.

21-Stunden-Woche als Normalfall

Als Ansatz auf dem Weg zu einer wachstumslosen Ökonomie schlägt NEF etwa eine Halbierung der Wochenarbeitszeit vor. Eine 21-Stunden-Woche als neuer Normalfall statt der in vielen Industrieländern vorherrschenden 40-Stunden-Woche würde den Menschen mehr Zeit und damit mehr echten Wohlstand bringen, für sozialen Ausgleich und weniger Arbeitslosigkeit sorgen sowie den Konsum und dessen ökologische Auswirkungen reduzieren.

Weithin bekannt wurde die NEF durch ihren "Happy Planet Index", der die Lebensqualität eines Landes zu messen versucht. Nur zwei Faktoren gehen in die Berechnung ein: das gefühlte Wohlbefinden der Bevölkerung, erhoben über Umfragen, sowie der Umwelt- und Ressourcenverbrauch. Die Wirtschaftsleistung wird in dieser Berechnung komplett ignoriert - damit unterscheidet sich der Happy Planet Index von vielen anderen Alternativen zum Bruttoinlandsprodukt als Wohlstandsindikator.

Deutschland vor den USA, aber hinter China

Diese Berechnungsweise verändert auch die Reihenfolge der Länder: Ganz happy sind demnach vor allem lateinamerikanische Länder, ganz hinten rangieren die meisten Staaten Afrikas wegen ihrer großen Armut und die Vereinigten Staaten wegen ihres exorbitant hohen Energieverbrauchs. Wirklich gut schneidet kein Staat ab, Deutschland und die meisten EU-Staaten landen zwar deutlich vor den USA, aber immer noch hinter Staaten wie China.

Der Happy Planet Index versucht, Ergebnisse der Glücksforschung zu politischen Indikatoren zu machen. So kann man beobachten, dass bei armen Ländern eine Zunahme des materiellen Lebensstandards zu einem erhöhten Wohlbefinden führt.

In den Industrieländern ist dieser Zusammenhang jedoch nicht mehr feststellbar. "Für die meisten dieser Länder ist der Zusammenhang zwischen dem Bruttoinlandsprodukt und einer höheren Lebenszufriedenheit vor Jahrzehnten zusammengebrochen", so Simms.

In Großbritannien hatte die Debatte um den gefühlten Wohlstand schon Konsequenzen: Inzwischen erhebt die Regierung Ihrer Majestät offiziell das Wohlbefinden der Bevölkerung.

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7 Kommentare

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  • L
    Laura

    Ein Ansatz, der wahrscheinlich vielen Menschen aus dem Herzen spricht - warum nur gibt es mal wieder keine Politiker/innen, die ihn versuchen, anzuwenden? Was wäre denn so schwer daran?

    Und nur so nebenbei: Warum habe ich eigentlich mal den deutschen "Thinktank", das "Institut für Solidarische Moderne" mit meinem Geld unterstützt...

  • MM
    Monika Michalski

    Diesen Artikel sollte auf jeden Fall Herrn Rösler lesen. Denn die FDP setzt ja nun nicht mehr auf Steuersenkungen, sondern auf Wachstum, Wachstum und noch mal Wachstum. Auch ich bin der Meinung, dass Wachstum endlich ist und irgenwann kein Wachstum mehr sein kann. Auch die Ressourcen sind dazu nicht verhanden. Hoffentlich wird das vielen Mitmenschen bewusst.

  • J
    Jan

    Ich denke, dass es schon helfen würde, wenn Firmen nicht jedes Jahr mehr Gewinn als im Jahr davor erwirtschaften müssen/wollen. Dieses ständige Streben nach immer mehr und noch mehr Rendite ist doch mit der Hauptgrund, warum unser Planet langsam ausblutet und die Menschen totzdem größtenteils immer ärmer werden. Ich denke niemand hat etwas gegen Gewinn, aber er sollte im Rahmen bleiben und nicht auf die Kosten von Mensch und Umwelt gehen.

  • A
    anke

    Die Idee ist so simpel, die muss einfach gut sein, richtig?

     

    Lassen wir die gegenwärtigen Großakteure doch einfach außen vor bei der Beurteilung der Zukunft! Fragen wir nicht, wie hoch die Gewinne sind, von denen westliche Wirtschafts- und Polit-Lenker glauben, sie würden ihnen (und nur ihnen) legitimerweise zustehen, und von denen aufstrebende Potentaten in Asien oder Afrika bisher nur träumen können. Ignorieren wir sämtliche Erwartungen an eine Entwicklung, die seit Jahrzehnten bruchlos Geld zu Bergen aufhäuft, das ebenso gut die Gestalt von Panzern annehmen kann wie die Gestalt von Urlaubsinseln oder Wählerstimmen. Konzentrieren wir uns statt dessen auf eine "Lebensqualität" die rein virtueller Natur ist, denn der virtuellen Welt gehört nun mal die Zukunft!

     

    Sieger des Rankings werden (knapp gefolgt von den Kubanern) gewiss die Nordkoreaner. Deren gefühltes Wohlbefinden, muss man annehmen, wird nach dem Ende der Trauerzeit doppelt so hoch liegen wie das aller übrigen Menschen dieser Erde. Man braucht bloß den Umfragen zu glauben, die Kim Junior selbst in Auftrag gibt. Der Umwelt- und Ressourcenverbrauch der Nordkoreaner dürfte dafür auch in Zukunft kaum halb so hoch liegen wie überall sonst auf Erden. Wenn DAS Land also nicht ein brauchbares Muster abgibt für einen "Happy Planet", dann weiß ich nicht...

  • E
    EuroTanic

    Toll! Wirklich toll. Nachdem uns die selbsternannten Eliten Thinktanks jahrhundertelang durch einen planwirtschaftlichen Prozess vorgeschrieben haben, dass der Materialismus, der ungezügelte Konsoum und Wachstum das NonPlusUltra seien will man uns jetzt vorschreiben was Glück ist? Das ist genauso dumm wie das vorherige System. Man muss es den Menschen selbst überlassen was sie wollen. Jeder definiert Glück als etwas anderes. Wir lassen uns unser Glück nicht von den parasitären, selbsternannten, sogenannten Eliten vorschreiben. Die haben in ihrem Leben noch nie einen Nagel grade in die Wand geschlagen und sollten mal anfangen etwas Reales zu leisten anstatt in das Leben anderer Menschen zu reinzupfuschen.

  • S
    Staatsbürger

    Der Zusammenhang zwischen Lebenszufriedenheit und Wachstum ist zusammengebrochen, weil die ArbeitnehmerInnen nicht durch Lohsnteigerungen am gemeinschaftlich erarbeiteten Wohlstand teilhaben. Im Gegenteil gibt es Spaltungs und Verarmungstendenzen und Verschlechterungen der Arbeitsbedinungen im allgemeinen, die ganz klar eine Handschrift tragen: Die des Neoliberalismus. Insbesondere im ehemaligen Exportweltmeisterland Deutschland hat man seit nun über zwei Jahrzehnten keine Reallohnsteigerungen zu verzeichnen und den Beschäftigtenanteil im öffentlichen Sektor auf den zweitniedrigsten in ganz Europa geschrumpft. Deswegen und nur genau deswegen ist die Wachstumsrate in der BRD absolut unterdurchschnittlich, da die Nachfrage stagniert. Auf diesem Hintergrund gibt sich der Rösler der Lächerlichkeit preis, da er durch grade seine Angebotspolitik zu einem unfassbar schlechtem Wachstum beiträgt. Es profitieren die Exportunternehmen und deren Anteilseigner und wie der deutsche Arbeitnehmer leidet auch die Eurozone durch die deutschen Dumpinglöhne. Hierzulande besteht zusätzlich die Gefahr, dass es wieder einen faulen gesellschaftlichen Kompromiss gibt. War es früher der der Frühverrentung zwischen Arbeitnehmerschutz/rechten und den kurzfristigen Mehrkosten durch ein international wettbewerbsfähiges Fortbildungssystem, vor welchem sich die Arbeitgeber sträubten, so droht uns jetzt ein zusätzlicher fauler Kompromiss zwischen Exportneoliberalismus und postmaterialistischen Status- und sozialem Abgrenzungsdenken einiger Möchtegernbürgerlichen. Man ist beeindruckt.

    Wenn man die Frage der Verteilungsgerechtigkeit mit nur der halben Kraft, wie bei ökologischen oder modisch ökologischen Fragen angehen würde, könnte man glaubwürdig eine selbstverständlich notwendige Ökologiepolitik oben drauf setzen. Sonst verbleibt man im Status weltfremder Ideologien und Opium fürs prekarisierte Volk.(Wer soll denn die notwendig höheren Preise einer komplett nachhaltigen Landwirtschaft bezahlen? Die Leute mit Dumpinglöhnen? Es fehlt einfach an den Grundrechenarten...)

  • K
    karakoram

    So naheliegend, aber ich sehe schon wieder die Kommentare vor mir und Begriffe wie "naiv, Gutmensch, unrealistisch, Fantast, Utopist, Spinner" etc.

     

    Wir fördern immer das Falsche. Den Finanzmarkt statt der sozialen Strukturen. Gier statt sozialem Verhalten. Wir passen den Menschen an das System an und nicht das System den Bedürfnissen der Menschen.

     

    Und wir bestimmen ausgerechnet Leute zu unseren Anführern, die uns erzählen, das wäre alternativlos. Dabei wählen wir die doch, damit sie uns die Welt möglichst genau so bauen, wie Mr. Simms es skizziert - so dass sie lebenswert ist nämlich.

     

    Es gibt eine Berechnung (muss leider grade bei der Quelle passen), nach der Vollbeschäftigung und Wohlstand für alle herrschen würde, wenn alle mitarbeiten dürften - für eben ca. 20 h pro Woche. Dann noch Freigeld und eine humanistische Bildung und viele Probleme von heute lösen sich in Luft auf.

     

    Aber wir leben am Leben vorbei. Alle. Und die meisten merken es nicht einmal...