SHEILA MYSOREKAR POLITIK VON UNTEN : Hirnschreddern
Als Nazi kann man steuerfrei Staatsgelder kassieren. Auch ganz ohne Gegenleistung
Bei jedem neuen Skandal denke ich: Das ist nicht zu toppen. Bis dann der nächste Skandal kommt. Die Aufarbeitung der NSU-Morde hatte bisher eine himmelschreiende Liste von Aktenschredderei, Ermittlungsfehlern und Erinnerungslücken zur Folge. Nun kommt ein neuer Punkt hinzu: Insgesamt 180.000 Euro – steuerfrei – wurden vom Verfassungsschutz an einen V-Mann namens „Corelli“ gezahlt, der die Neonazi-Szene über Jahre hinweg bespitzeln sollte. Bezahlt vom deutschen Staat, das heißt, von unseren Steuergeldern. Auch von meinen.
Laut Presseberichten lebt Corelli alias Thomas R. heute mit neuer Identität in England, finanziert vom Zeugenschutzprogramm – wieder von meinen Steuern. Wenn dieser V-Mann namens Thomas R. brauchbare Informationen geliefert hätte, mit deren Hilfe die Polizei die Zwickauer Terrorgruppe hätte verhaften können – dann, und nur dann, würde ich sagen, dass meine Steuergelder gut angelegt wurden. Aber das ist nicht der Fall. Im Gegenteil: Thomas R. war aktiver Gestalter in der Neonazi-Szene, Herausgeber der Zeitung Nationaler Beobachter und rechtsradikaler Internetseiten. Also jemand, der mit diesem Staatsgeld seine Projekte finanzieren konnte. Und zwar ohne valide Gegenleistung.
Obwohl dieser V-Mann angeblich sehr wichtig war – so wichtig, dass auch jetzt niemand etwas über ihn erfahren darf –, trug er nicht zur Verhinderung der Nazi-Mordserie bei. Aber der NSU-Untersuchungsausschuss hat diesbezüglich nicht alle zur Aufklärung notwendigen Informationen vom Innenministerium und Verfassungsschutz bekommen. Warum nicht? Als Krimi lesender Laie nehme ich mal an, da soll etwas vertuscht werden. Wie auch durch zufälliges Schreddern wichtiger Akten. Ich bezahle nicht unbedingt gerne Steuern, aber ich bin bereit, meinen Teil zum funktionierenden Gemeinwesen beizutragen. Die Prioritäten der Politiker sind jedoch befremdlich: Für neue Kindertagesstätten ist kein Geld da. Aber um Nazis in Gestalt von V-Männern zu finanzieren, obwohl ihr Nutzen nicht nachweisbar ist – dafür schon. Hohe Summen. Ohne irgendeine Kontrolle, wie sich jetzt herausstellt.
Und nicht mal im Nachhinein, nicht einmal im Zuge der Aufklärung einer brutalen Mordserie, wird hier irgendwer gezwungen auszusagen. Die Akten sind halt geschreddert und das Hirn auch.
■ Die Autorin ist Journalistin und in der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland Foto: F. Bagdu