Kapitalismuskritik auf Welwirtschaftsforum: Keine Revolution in Davos

Die Einsicht, dass es beim Kapitalismus gewissen Reformbedarf gibt, ist selbst auf dem Weltwirtschaftsforum mehrheitsfähig. Doch grundsätzlicher wird es nicht.

Liegt es wirklich nur an Unwissen, wie dieser Demonstrant zynisch behauptet? Bild: dpa

DAVOS taz | Ein klein wenig Revolution wollen die Kapitalismuskritiker von Davos doch machen: Die Globalisierungsgegner schlagen den Teilnehmern des Weltwirtschaftsforums vor, das Podium mit den wichtigen Leuten da vorne aufzulösen und lieber untereinander zu diskutieren: über die Krise der Finanzmärkte, des ganzen Wirtschaftssystems und über eine bessere Zukunft.

In der Aula der Schweizerischen Alpinen Mittelschule in Davos, außerhalb des polizeilich streng abgesperrten Kongresszentrums, entsteht Unruhe. Die 300 Zuhörer möchten lieber erfahren, was beispielsweise Ed Miliband, der Chef der britischen Labour-Partei, zu sagen hat. Der Antrag der Occupy-Leute aus dem benachbarten Protestcamp wird abgelehnt. Die Podiumsdiskussion mit dem Titel "Kapitalismus neu gestalten" kann beginnen.

Muss, soll, darf man aus der Finanz- und Schuldenkrise der vergangenen vier Jahre schließen, dass unser Wirtschaftssystem insgesamt marode ist? Diese Frage treibt selbst die in den Schweizer Alpen zusammengekommene Finanzelite um, weshalb Forumschef Klaus Schwab sie auch gleich zur Eröffnung des offiziellen Programms letzten Mittwoch thematisieren ließ.

Diskutiert wird über mehr oder weniger weitreichende Reformen des gegenwärtigen Kapitalismusmodells. Die Erkenntnis, dass es da einen gewissen Handlungsbedarf gibt, ist selbst in Davos Mehrheitsmeinung.

Nicht grundsätzlich in Frage stellen

Das eine Feld bearbeitet unter anderem Labour-Chef Miliband: In der Finanzkrise habe sich ein Mangel an demokratisch etablierten Regeln für die Finanzmärkte gezeigt. Stephen Roach, Manager der US-Investmentbank Morgan Stanley, pflichtet ihm bei: "Die Politik muss den Märkten die notwendige Disziplin aufzwingen."

Das zweite Feld der Auseinandersetzung ist die Gerechtigkeit. Roach sagt: "Die Einkommensungleichheit ist gegenwärtig höher als jemals zuvor." In den USA, Großbritannien und auch Deutschland etwa deutet einiges darauf hin, dass die soziale Spaltung zwischen den ganz Armen und den Superreichen zunimmt. US-Ökonom Joseph Stiglitz rät, Umverteilung zu betreiben mit höheren Steuersätzen für Reiche und niedrigeren Lasten für untere Einkommensschichten.

Neben diesen Reformansätzen, die die Prinzipien des Kapitalismus nicht infrage stellen, gibt es aber auch grundsätzlichere Positionen. "Vergesst das Wachstum!", ruft Tomas Sedlacek, Dozent der Karls-Universität Prag, in die Aula, "Europa braucht kein Wachstum mehr, es ist schon reich genug." Der Beifall des Publikums hält sich in Grenzen. Wahrscheinlich sorgen sich die meisten darüber, was der Verzicht auf Wachstum bedeuten könnte. Der Wohlstand der gesamten Gesellschaft würde stagnieren oder abnehmen, um individuellen Verzicht käme man wohl nicht herum.

Trotzdem spricht Sedlacek, der gerade sein Buch "Die Ökonomie von Gut und Böse" veröffentlicht hat, damit ein Thema an, das auch viele Menschen in Deutschland bewegt. In den vergangenen Jahren sind Dutzende Bücher über Wachstumskritik erschienen. Das hat auch etwas mit der Finanzkrise zu tun, die ja nicht zuletzt durch zu schnelles Wachstum eines Teils der Wirtschaft entstanden ist.

Nicht nur Sedlacek, sondern auch die Occupy-Leute bekommen die mangelnde Zustimmung zu spüren. Die Studenten aus dem Protestcamp sagen immer wieder, sie könnten keine Alternative zum Kapitalismus vorschlagen. Gerade deshalb müsse man aber mit allen zusammen mal eingehend darüber debattieren. Prozess statt Lösung - das bringt ihnen Kopfschütteln und Buhrufe ein.

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