Bürger an die Bauklötzchen: Der Bürger als Stadtplaner

Bei der Planung des Neuen Hulsberg-Viertels sind die Bürger von Anfang dabei. Das Verfahren hat Pionierstatus - und nicht nur Freunde

Planungsoffen: Das künftige Stadtquartier als Setzkasten Bild: Subve

Er hätte mit deutlich "mehr Frostschwund" gerechnet, gesteht Moderator Otmar-Willi Weber bei der Begrüßung. Über 100 Bürger haben es es trotz eisiger Kälte und Ostwind wieder in die Räume der Friedensgemeinde geschafft. Zum vierten und letzten Mal findet hier ein Treffen der Bürgerbeteiligung zur Gestaltung des Neuen Hulsberg-Viertel statt.

Als "Erstaunlich und ungewöhnlich" beschreibt Klaus Selle diese Treffen. Selle ist Inhaber des Lehrstuhls für Planungstheorie und Stadtentwicklung in Aachen und seit Beginn des Projektes dabei. "Erstaunlich finde ich die große Beteiligung an diesem Projekt. Ungewöhnlich ist die frühe Öffnung des Verfahrens für die Mitbestimmung." Das sei "sogar recht einmalig", betont Selle. Dieser sehr frühe Einbezug der Bürger erregt inzwischen deutschlandweit Aufmerksamkeit. Denn auch die Strukturierung der Bürgerbeteiligung wurde von einer Bürgerversammlung erstellt.

Beschlossen wurden dabei vier inhaltliche Sitzungen, immer mit einem unterschiedlichen Themenschwerpunkt. Damit sollte die Komplexität der einzelnen Sitzungen beschränkt werden und die Bürger trotzdem in alle Aspekte eines stadtplanerischen Prozesses Einblick erhalten. Schließlich umfasst das Projekt auf dem Grundstück des Klinikums Bremen-Mitte immerhin 14 Hektar, die einmal Heimat für bis zu 2.000 Menschen werden sollen.

Die Treffen folgten immer einer gleichen Struktur: Nach einer kurzen Begrüßung durch den Moderator begann der Abend mit Vorträgen von Experten zu den jeweiligen Themenschwerpunkten. Unter den Vortragenden waren Stadtplaner, Immobilienberater, Architekten, Ingenieure, Baumgutachter. Darauf aufbauend setzen die Teilnehmer sich in Arbeitsgruppen zusammen und beantworten schriftlich vorher festgelegte Fragen zum jeweiligen Sitzungsthema. Diese Antworten wurden anschließend noch einmal im Plenum diskutiert und sollen dann eine Planungsgrundlage für die Gestaltung des Viertels werden.

Lebhaft und kontrovers wurden die Diskussionen dieser Treffen immer dann, wenn fachliche Einschätzungen auf individuelle Vorstellungen prallten. Beim letzten Treffen, als Experten ihre Einschätzungen über Erhalt oder Abriss der Bestandsbauten auf dem Klinikgelände vortrugen, kam schnell Frust auf, wenn das ausgewählte zukünftige Heim auf der Abriss-Liste gelandet war: "Versteh jetzt nicht, dass das abgerissen werden soll. Vielleicht habe ich da einfach etwas mehr Fantasie als die Herrn Experten?", beschwerte sich eine Bürgerin. Doch der angesprochene Architekt verwies auf eine weitere Besonderheit des Konzeptes: "Alle Ideen, auch unsere professionellen, sind immer im Konjunktiv zu betrachten."

Das kann ein Grund für die große Beteiligung an den Bürgerforen sein, die meisten Teilnehmer fühlen sich offenbar ernst genommen. "Ich habe den Eindruck, hier findet tatsächlich ernst gemeinte Bürgerarbeit statt", sagt Hilke Emig. Sie sei sowohl wegen der interessanten Vorträge wie der schieren Größe des Projektes dabei - und weil sie selbst einmal auf dem Gelände wohnen möchte. Ihr einziger Kritikpunkt: "Es ist nur ein bestimmter gesellschaftlicher Ausschnitt hier. Aus bildungsferneren Schichten kommt keiner."

Otmar-Willi Weber, Moderator der Bürgerforen, attestiert dem Projekt eine Art Modellcharakter, weil hier "mit offenen Karten" gespielt werde. "Wir haben ein sehr kritisches und engagiertes Publikum hier, das den geladenen Experten aber ein Grundvertrauen entgegenbringt", sagt Weber.

Kritische Stimmen zu dem Projekt kommen von dem Verein "Klinikfreunde." Drei pensionierte Stadt- und Landschaftsplaner haben sich eigene Gedanken zu der Gestaltung des frei werdenden Geländes gemacht. Ihre Ideen sehen sie dabei nicht als Konkurrenzveranstaltung, sondern sie hätten diese gerne als mögliche Gestaltungsidee auch bei den Treffen der Bürgerforen vorgestellt, was jedoch nicht möglich war. "Mir fehlt die Visualisierung von Ideen. Wir hätten gerne Pläne eingesetzt, um mögliche Umsetzungen zu präsentieren", sagt Bernhard Lieber.

Den Verzicht der Veranstalter, mit Plänen zu arbeiten, kann Lieber nicht nachvollziehen. "Einen Plan zu zeigen, heißt doch nicht, dass dieser auch so umgesetzt wird. Er ist veränderbar und nur eine Unterstützung, um Ideen leichter zu kommunizieren." Im übrigen gelte: "Die Randbedingungen durch bestehende Wege und die zu erhaltenen Gebäude geben eigentlich schon eine sehr genaue Gestaltung vor."

Auch Klaus Selle, der bereits an zahlreichen Bürgerbeteiligungen mitgearbeitet hat, glaubt, dass durchaus noch Konfliktpotenzial im Projekt steckt. "Wenn angefangen wird, zu bauen, kann es sicherlich nochmal Ärger geben. Viele Menschen zeigen erst dann Interesse, wenn etwas sichtbar wird."

Doch bis dahin dauert es noch ein bisschen. Baubeginn ist voraussichtlich 2014 und mit einer Fertigstellung frühestens 2018 zu rechnen. Erst mal wurde noch ein weiteres Treffen angesetzt, bei dem die Ergebnisse der vorangegangenen Bürgerforen kontrolliert und noch einmal gemeinschaftlich diskutiert werden sollen. Auch ein gemeinsames Fest ist geplant. Kein Abschlussfest, sondern eine Belohnung für alle, dass sie es soweit gemeinsam geschafft haben.

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