Hype ums digitale Lernen: Kinderleicht zu bedienen

LehrerInnen sind von Tablets begeistert. Sie erwarten kreativen Unterricht. Ob sich das erfüllt, ist offen. Denn Studien, die positive Ergebnisse liefern könnten, fehlen.

Auf dem digitalen Lernen liegt der Fokus der Bildungsmesse Didacta, die gerade in Hannover stattfindet. Bild: dpa

HANNOVER taz | Rita Lemper lässt damit in Sachkunde Lückentexte vorlesen. Bei Dorothea Ferarri machen die Schüler darauf Musik. Beide Frauen unterrichten an Grundschulen, die eine in Hagen, die andere in Berlin. Beide Lehrerinnen setzen iPads im Unterricht ein, und sie glauben daran, dass das Tablet in der Schule irgendwann so selbstverständlich wird wie der Taschenrechner in Mathe.

"Ich möchte, dass wir iPads im Unterricht einsetzen und unsere Schule Pilotschule wird", sagt Lemper, die einen Sponsor für einen Klassensatz sucht und einstweilen ihr eigenes iPad in die Schule trägt. Die Berliner Schulleiterin Ferarri sieht in den flachen Tablet-Rechnern ein ideales Unterrichtswerkzeug: "Es ist kinderleicht zu bedienen, sogar für Lehrer", sagt sie spöttisch.

Das digitale Lernen ist ein Schwerpunkt auf der Didacta, der größten deutschen Bildungsmesse, die derzeit in Hannover stattfindet. Die Computerindustrie hat die Schulen schon seit Jahren im Visier. Doch seit der Apple-Konzern im Januar verkündet hat, groß in den Bildungsmarkt einsteigen zu wollen, wächst die Spannung, wann die digitale Welt endgültig in die Sphären von Tafel und Kreide vordringt. Vor allem den handlichen Multifunktionstablets traut man zu, Schulen und Unterricht von Grund auf zu verändern.

André Bresges vom Institut für Physik und Didaktik der Uni Köln hält die Tablets wegen ihrer großen Arbeitsfläche und ihrer Kamera für die Schlüsselwerkzeuge des Lernens im 21. Jahrhunderts: "Das findet überall statt und ist hoch kooperativ." Die Hallen in Hannover sind jedenfalls so vollgestopft mit Technik, dass die WLAN-Übertragung im gläsernen Klassenzimmer des Vereins "Schulen in Niedersachsen online", den Land und Kommunen zusammen mit der Wirtschaft betreiben, zuweilen schlappmacht.

Sinkende Umsätze: Die Ausgaben der Länder und Kommunen für analoge und digitale Bildungsmedien an allgemeinbildenden Schulen sind 2011 gesunken. Laut Verband der Bildungsmedien setzte die Branche 317 Millionen Euro um - das sind 3 Prozent weniger als im Vorjahr. Hauptgründe sind zurückgehende Schülerzahlen und Sparmaßnahmen der Kommunen.

Geringer Anteil digitaler Medien: Der Anteil digitaler Bildungsmedien, wie Lernsoftware, Onlineportale, digitale Schulbücher, am Gesamtumsatz der Branche ist laut Verbandsangaben nach wie vor "äußerst gering."

Branchentreffen: Die Didacta findet in diesem Jahr vom 14. bis 18. Februar in Hannover statt. Sie ist nicht nur Produktschau, sondern mit rund 1.500 Workshops, Seminaren und Fortbildungen auch die größte pädagogische Fortbildungsveranstaltung. (ale)

Es geht nicht um Apple

Einer der fünf Messetage ist hier ausschließlich den Möglichkeiten gewidmet, die Tablets im Unterricht eröffnen. "Es geht um die Veränderung des Lernens, nicht um Apple", heißt es zwar. Aber natürlich dreht sich alles um das iPad, wie sollte es auch anders sein, wenn auf jedem Stuhl eins liegt.

"Das iPad ist schön, weil man damit Geschichten hören kann und Spiele spielen", sagen Kinder in die Kamera. Das ist kein Werbefilm von Apple. Die Firma hat auf der Messe ja nicht einmal einen eigenen Stand, sondern hält sich im Hintergrund. Den Film haben Grundschüler aus Essen auf dem - na klar - iPad gedreht.

Ihre Lehrerin Stefanie Wetzel zeigt ihn, als sie referiert, wie die Kinder auf den iPads der Klasse im Unterricht eigene Märchen produzieren, Dialoge aufnehmen und ihr persönliches Schulbuch produzieren. Zwei Oldenburger Lehrerinnen sind begeistert: "Faszinierend. Wir haben den dringlichen Wunsch, so etwas auch für unseren Unterricht anzuschaffen." Reklame für eine bestimmte Zielgruppe ist eben am effektivsten, wenn die Zielgruppe sie selbst macht.

Am Kurt-Kröber-Gymnasium in Hamburg hat jeder Schüler der 11. Klasse seit Schuljahresbeginn ein eigenes iPad, das er oder sie mit nach Hause nehmen kann. Schulleiter Christian Lenz berichtet über die ersten Erfahrungen nach einem halben Jahr "Paducation": Die Unsicherheit der Lehrer - was machen die Schüler da gerade, Mathe oder twittern?

Braucht man eine Positivliste für Apps?

Die Googlemania, die ausbricht, wenn der Lehrer eine Frage stellt. Welche Programme, Apps genannt, sind sinnvoll? Braucht man für sie eine Art Positivliste? Trotz aller Fragezeichen ist Lenz nach wie vor überzeugt, dass es richtig war, sich als Schule in den Apple-Kosmos zu stürzen: "Die Schüler leben in einer Medienwelt. Wir haben die Verpflichtung, sie darauf vorzubereiten."

Die Apple-Konkurrenz wirbt ebenfalls emsig um Lehrer, Schüler und Eltern. Der Technologiegigant Microsoft hat im Januar zusammen mit Konzernen wie Acer und Intel ein Bündnis für Bildung gegründet. Auch das Land Schleswig-Holstein ist Partner. Ziel ist eine Lernplattform, von der Lernsoftware auf jedes beliebige Gerät heruntergeladen werden kann - analog zu den Apps fürs iPad. Ende Februar wird der Konzern zudem erstmals das neue Windows 8 vorstellen, mit touchscreentauglichem Design. "Das wird für Schulen nicht uninteressant", sagt eine Sprecherin.

Der Druck auf die Politik, die Schulen mit adäquaten Endgeräten für das digitale Lernen auszurüsten, wächst. "Wir müssen das relativ zügig entscheiden", meint eine Vertreterin der Hamburger Schulbehörde am Stand von n-21. Ihr Kollege ist noch skeptisch. Alle Schulen müssten mit einem leistungsfähigen WLAN-Netz ausgestattet werden, die Strahlenbelastung ignorierend. Und nicht zuletzt seien die Tablets ja nicht billig.

Eigenverantwortlich und nachhaltig

Das Land Niedersachsen will durchstarten und wird zu Beginn des neuen Schuljahres 18 Pilotschulen einrichten, die Paducation drei Jahre lang erproben. Die Kosten für die 479 Euro teuren Geräte müssen die Kommunen, Sponsoren oder die Eltern übernehmen. Hoffnung und Ziel dieses Feldversuches sei es, dass Schüler eigenverantwortlicher und nachhaltiger lernen, sagt der zuständige Projektleiter Hagen Heinrich.

Ob Schüler, die mit Tablets lernen, am Ende klüger und reifer sind als die schreibheftgeprägten Generationen vor ihnen, weiß bisher niemand. Es gibt noch keine Studien für Deutschland. Die Universität Hamburg begleitet den Hamburger Versuch zum Tablet-Unterricht, aber erste Ergebnisse sind frühestens Ende des Jahres zu erwarten, sagt Ralf Appelt von der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät. Für die Lehrerin Dorothea Ferarri ist indes heute schon klar, dass die Pads immer nur ein Teil des Unterrichts sein werden.

Bei aller Begeisterung: "Das iPad ist nur ein Werkzeug und darf den Unterricht nicht bestimmen."

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