Editorial Syrien: Syrien und die deutsche Öffentlichkeit

In Syrien sollen die Oppositionellen in Homs ausgerottet werden. Während Journalisten anderer Länder sich ins Land trauen, trinken deutsche Reporter Tee mit dem Diktator.

Homs brennt. Assad-loyale Truppen richten derzeit ein Gemetzel in der syrischen Protesthochburg an. Nach wochenlanger Belagerung und Panzerbeschuss gehen sie mit einer Bodenoffensive gegen Deserteure und Widerstandskämpfer in Quartieren wie Bab al-Amr vor. Es soll kein Stein auf dem anderen bleiben, die Ausrottung der oppositionellen Bevölkerung ist das Ziel.

Die Welt schaut dabei zu, wie in Homs Menschen sterben, junge Mädchen, alte Männer, Mütter, Söhne, Kinder. Für Politik und Öffentlichkeit ist es unendlich schwierig, aus dem, was wir erfahren, Konsequenzen für das Handeln abzuleiten. Das liegt auch daran, dass es derzeit nur unter Lebensgefahr möglich ist, objektive Informationen aus Syrien zu bekommen.

Erst in der vergangenen Woche wurden mit der Reporterin Marie Colvin und dem Fotografen Rémi Ochlik zwei herausragende JournalistInnen getötet. Sie haben ihr Leben gegeben, weil sie nicht davon ablassen wollten, mit eigenen Augen und Ohren zu bezeugen, was sich tatsächlich abspielt auf dem Schlachtfeld von Homs. Unabhängige Augenzeugen soll es nach dem Willen des Regimes in Damaskus nicht geben. Syrische Bürgerjournalisten sowie die wenigen heldenhaft im Untergrund agierenden ausländischen Reporter sind deshalb bevorzugte Mordziele.

INES POHL ist Chefredakteurin der taz.

ANDREAS FANIZADEH ist Leiter des Kultur-Ressorts der taz.

Deutschlands Medien halten sich im Vergleich zu anderen sehr zurück, wenn es darum geht, sich direkt hineinzubegeben in die gefährliche Wirklichkeit. Stattdessen versuchen immer wieder selbst ernannte Experten, aus sicherer Distanz oder gar auf Einladung des Despoten den öffentlichen Diskurs zu Syrien in Deutschland zu prägen.

In einem Beitrag für die taz empört sich der syrische Exilschriftsteller Rafik Schami über diesen „Prominenz-Journalismus“ von Leuten wie Peter Scholl-Latour und Jürgen Todenhöfer. Sie reisen nach Syrien, sind zum Tee mit dem Diktator verabredet und schreiben nach der Rückkehr syrische Staatspropaganda. „Längst ist nicht mehr sicher, wer in Syrien mehr Zivilisten tötet – die staatlichen Sicherheitskräfte oder die Rebellen“, behauptete Jürgen Todenhöfer jüngst. Das kommt der Apologie für ein mörderisches Regime gleich.

Rafik Schami schäumt ob dieses Zugangs. Er lädt uns ein, seinem Selbstgespräch beizuwohnen. Er bezeichnet seine zornigen Zeilen als eine Intervention. So will auch die taz die folgenden Seiten verstanden wissen. Als Intervention, die uns zum Nachdenken bringen soll – über Syrien und auch darüber, wie die deutsche Medienwelt funktioniert.

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