Kolumne Gerüchte: Jim Morrison neutralisieren

Mit über 50 wieder in eine Band einsteigen? Gute Idee, eigentlich. Bloß klingen die alten Songtexte heute so seltsam.

Es gibt Worte, die verjüngen. „Jam Session“, hatte Lissy gesagt, „hättest du nicht Lust, zu unserem Kellerjubiläum zu kommen und ein bisschen mitzujammen?“ Jam session. Dschämm säschn.

Das Wort weckte Erinnerungen an unser wildes Gedudel von früher. Abende, nein Nächte hatten wir damals verbracht im schallisolierten, nahezu unbelüfteten Keller, wo unsere viertklassige Amateurband für Auftritte auf schlecht besuchten Straßenfesten probte. Natürlich war es nur dem ignoranten Musikbusiness zu verdanken, dass mein Neue-Deutsche-Welle-Stück „Auch das Mittelmaß macht Spaß“ trotz des subversiven Reims den Sprung in die Charts nicht schaffte. Ich war schon vor langer Zeit abgesprungen, doch Lissy ist all die Jahrzehnte dabeigeblieben und tritt mit ihrer gemischtgeschlechtlichen Nachspieltruppe honorarfrei auf runden Geburtstagen der höheren Altersklasse auf.

Doch auch ich suche heute neue Herausforderungen. Wenige Tage später erscheine ich im Keller, sicherheitshalber mit Noten: „Light my fire“. Zu Hause hatte ich diszipliniert das Intro des Doors-Song geübt, das Ray Manzarek über die Orgel jagte, bevor Morrison „Baby, light my fire“ röhrte.

Lissy setzt sich die Lesebrille auf, nimmt die Gitarre und singt mit ihrer schönen Altstimme vom Blatt: „You know that it would be untrue, you know that I would be a liar, if I was to say to you, Girl we couldn’t get much higher. Come on baby, light my fire“.

Eigentlich ein Männerlied, das fällt mir jetzt erst so richtig auf. Ich stelle mir den zugedröhnten Jim Morrison vor, der im Bett liegt und von der Frau auch noch fordert: „Light my fire“. Soll das eine Aufforderung zum Blow Job sein? „Irgendwie sexistisch“, sage ich, als Lissy geendet hat. „Du müsstest du doch eigentlich singen: Boy, we couldn’t get much higher.“ Gregor am Schlagzeug verzieht unmerklich das Gesicht. Das fällt mir auf, denn trotz seiner Wampe und Halbglatze hat er immer noch so eine Späthippieausstrahlung, die ich sympathisch finde.

Lissy ist textlich flexibel: „If I was to say to you, boy, we couldn’t get much higher. Come on baby, light my fire“. Hm. „Würde mich nicht trauen, das heute auf irgendeiner der Bühne zu singen“, meint sie danach. „Boy, we couldn’t get much higher. Na ja.“ Ihre bejahrte Truppe spielt sonst eher die Beatles nach, „Yesterday“, „Hey Jude“, solche Sachen.

„Man muss es vielleicht konzertanter singen, distanzierter“, schlägt Gregor vor. Lissy vermindert das Vibrato in ihrer Stimme: „If I was to say to you, oh, we couldn’t get much higher“. „Klingt neutraler“, sagt sie.

Neutraler! So ein Wort passt eigentlich nicht in den Übungskeller, auch nicht nach 25 Jahren.

Ich habe noch „Angie“ von den Stones mitgebracht. Die Noten und den Text habe ich ebenfalls heruntergeladen aus dem Internet. Danach ist mir auch etwas aufgefallen: Eigentlich ist das ein Song darüber, wie ein Mann einer Frau den Laufpass gibt, wobei er ziemlich feige drumherum redet. Seufz.

Auf „Angie“ hat Lissy keinen Bock.

„Versuchen wir es mit ’Twist in my sobriety‘“, schlägt sie vor. Die Noten hat sie mit. Schönes Stück. Schwieriges Stück. Viel Moll. Ich habe nie begriffen, was der Song wirklich meint. Ist aber bestimmt ein Frauenlied, irgendwie. Uff.

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Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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