Entertainer Olli Schulz: Ein Hofnarr macht auch Ernst

Mit seiner Mischung aus komischen Anekdoten und rührenden Songs findet Sänger und Moderator Olli Schulz immer mehr Fans. Er passt auf, dass sich keiner zu ernst nimmt.

Ein Alltagspoet, der vieles nicht zu ernst nimmt: Olli Schulz. Bild: dpa

„Weil die Zeit sich so beeilt und weil so wenig bleibt von dem, was einmal war / Und weil das Licht so leicht zerbricht, sehen wir die Dinge manchmal seltsam sonderbar.“ Vielleicht erzählt Olli Schulz deswegen so viel auf der Bühne, weil ihm das Festhalten schwerfällt. Vielleicht ist jedes Konzert, jeder Song damit auch eine kleine therapeutische Retrospektive auf erlittenen Herzschmerz, verpasste Chancen und prägende Momente – im Guten wie im Schlechten.

Neun Jahre ist es her, dass der gebürtige Hamburger sein Debüt „Brichst Du mir das Herz, dann brech’ ich Dir die Beine“ veröffentlichte, auf dem man die nachdenklichen Zeilen findet. Vier Platten später, an einem sonnigen Märztag, sitzt allerdings ein vornehmlich hungriger Musiker auf der Terrasse des Café Edelweiss in Berlin-Kreuzberg. Schulz wohnt in der Nähe und hat noch nicht gefrühstückt. Die bestellten Spiegeleier lassen auf sich warten.

In der Zwischenzeit sprechen wir schon mal über das frisch vorgelegte fünfte Album „SOS Save Olli Schulz“ (Trocadero) und die am 20. April erscheinende DVD „SOS – Showman Olli Schulz“ (Turbine). In beidem steckt das, was Oliver Marc Schulz in den vergangenen Jahren zur publikumswirksamen Perfektion gebracht hat – das Geschichtenerzählen, mal mit, mal ohne Gitarre. Schulz hat einen schier unerschöpflichen Anekdotenfundus, mal mit, mal ohne Pointe.

Früher griff er gern in die Storykiste, um die Pausen zwischen den Songs zu füllen. Mittlerweile ist daraus ein tragfähiges Komikkorsett für seine Gigs geworden. Nicht wenige Fans kommen gerade deswegen. Viele der Geschichten hat er hinter und vor Konzertbühnen gesammelt, als er sich in den 90ern als Stagehand und Ordner die Miete zusammenverdiente.

Derb und zynisch – bis die Pointe kommt

Wie die von Peter Maffay, der beim Soundcheck den prasselnden Regen auf dem Bühnendach nicht als unvermeidliches Nebengeräusch identifizieren kann und seinen Mann am Mischpult todernst auffordert: „Stell das ab.“ Oder wie die auf der DVD dokumentierte von einem halbwüchsigen Mädchen, das beim Stagediven nicht in der Menge, sondern im Bühnengraben landet und sich dabei die gesamte vordere Zahnreihe ausschlägt.

Klingt erst mal derb und zynisch – bis die Pointe kommt. „Das Gute allerdings war, sie hat eine feste Klammer getragen. Die Zähne klebten noch alle an der Klammer und haben so runtergewackelt wie bei einem Honkytonk-Klavier.“ Nach einer kurzen Schrecksekunde tobt das Publikum bei der Aufzeichnung im Heimathafen Neukölln in Berlin.

Im Café Edelweiss ist das englische Frühstück mittlerweile eingetroffen und Olli Schulz erzählt, dass er am darauffolgenden Tag bei ZDF-Talker Markus Lanz sitzen wird. Lanz wird den 37-Jährigen dann prompt als „Star“ vorstellen. Das scheint dann doch etwas zu euphorisch formuliert – aber Schulz beginnt gerade tatsächlich Karriere zu machen. In seinem aktuellen beruflichen Portfolio findet sich eine regelmäßige Radiosendung beim RBB, ein Platz im Ensemble des ZDFneo-Überraschungserfolgs „neoParadise“ und die Doppelveröffentlichung von Platte und DVD. Schulz ist zu einer crossmedialen Unterhaltungsallzweckwaffe geworden.

Fragt man ihn nach dem Rummel um seine Person, entgegnet er trocken, das Ganze sei auch schnell wieder vorbei. Ob das nun die Routinereaktion ist oder Bescheidenheit signalisieren soll, ist nicht auszumachen. Dann aber beginnt Schulz rasant zu plaudern, über die Kindheit in Hamburg-Stellingen, die Schulzeit und den ersten Job in einem Plattenladen.

Einfach war sein Leben am Anfang nicht: Schulz wächst bei den Urgroßeltern auf. Seinen leiblichen Vater hat er nie kennengelernt. Auf dem 2006 erschienenen Album „Warten auf den Bumerang“ (EMI) münzt er ungemein berührend dessen Fehlen in Wehmut um: „Armer Vater / Du wirst niemals sehen / wie ich hier in dieser Welt bestehe / wie ich meine krummen Lieder sing / und bei diesen schönen Mädchen bin.“ Schon damals hat ihm die Musik geholfen, den Verlust zu verpacken: „Ich bin schon sehr früh in eine Musikwelt geflüchtet, habe als Kind auf dem Bett gelegen und Platten gehört – daher habe ich mir auch meine Allgemeinbildung geholt.“ Nach der Schulzeit – als „Klassenclown, der überall dabei sein wollte, wo was los war“ – jobbt Schulz bei Remedy Records im Schanzenviertel und freundet sich mit einem Kunden besonders an – Marcus Wiebusch, der ihm das Gitarrespielen beibringt. Auf Grand Hotel van Cleef, dem heutigen Indie-Vorzeigelabel des Kettcar-Sängers, wird Jahre später, 2005, auch seine zweite Platte „Das beige Album“ erscheinen.

Geerdeter Alltagspoet

Zu der Zeit tobt sich die linksalternative Szene gerade in der Hamburger Schule aus. Plattenverkäufer Schulz sieht die ersten Gigs von Tocotronic und ist von Bernd Begemanns Entertainertalent beeindruckt. Mit dem eher dogmatischen hanseatischen Künstlerverständnis dieser Tage kann er bis heute wenig anfangen: „Ich fand das damals so bitter, dass Bernd Begemann alle fertiggemacht haben, weil er eine Platte über sein bürgerliches Erwachsenwerden gemacht hat. Ich habe mich nicht wohlgefühlt in dieser scheinbar künstlerisch-elitären Szene, die sich so in erster Linie selbst im Weg stand.“ Schulz betont, damit nicht die Musiker zu meinen, sondern deren Umfeld. „Damals wurde die Mentalität kaputtgemacht, dass du als Musiker unbedingt eine Message haben musst.“

Wahrscheinlich verkörpert Olli Schulz heute deswegen auch eine bodenständige Mischung aus beidem: ein Alltagspoet, der vieles nicht zu ernst nimmt. Es gibt kaum einen im Land, der so spielerisch leicht zwischen dem ernsten Gestus eines Songwriters und den flockig-banalen Lachsalven eines Comedians hin und her springen kann. Auf der neuen Platte skizziert er im Song „Koks und Nutten“ Absturz und Katharsis eines einst gehypten Talents und endet mit einer rührenden Widmung: „für die tiefgefallenen Engel / für die fehlerhaften Produkte / für die Bands, die ich so liebte, die der Erdboden verschluckte / für die sogenannten Verlierer / für die Entrückten und Beseelten, die mir in wunderschönen Liedern von ihrer Sehnsucht erzählten“.

Für „neoParadise“ steht dann der gleiche Typ als „Charles Schulzkowski“ am roten Teppich einer Filmpremiere und pöbelt – mit grandiosem Unterhaltungswert – jeden an, der sein Angebot auf ein Glas Whisky ausschlägt. Addiert man beides zu einem Künstlerbild, festigt sich das eines modernen Eulenspiegels: ein Hofnarr mit einem „Herz aus Dynamit“, wie er selber singt.

Olli Schulz dürfte allerdings auch wissen, dass mal bittere, mal butterweiche Geschichten im Fernsehen oder in der eigenen sonntäglichen Radiosendung „16 und Zwei“ mehr Erfolg, mehr Aufmerksamkeit und letztlich auch mehr Geld bringen werden als mühsame Plattenverkäufe. Wenn man ihn dann bei Kaffee und Zigarette routiniert vom Leben erzählen hört, spürt man die Ambivalenzen, die das mit sich bringt. Seit 20 Jahren schreibe er Tagebuch, da stehe alles drin.

Immer ungemein schlagfertig

Und doch sind es so viele, so herrlich absurde Geschichten, dass man sich fragt, ob die eine oder andere nicht einer klugen schelmischen Fantasie entsprungen ist. Übers Fernsehen sagt Schulz: „Es ist seit zehn Jahren abgefrühstückt, Witze über andere Leute, die mit vor der Kamera stehen, zu machen.“ Als „Schulzkowski“ („Ich sag immer: lieber Becksbier als Shakespeare“) macht er eigentlich nichts anderes. Aber er tut das so liebevoll wie anarchisch und immer ungemein schlagfertig.

Was wie eine Profilneurose mit Unterhaltungsmehrwert wirken könnte, ist aber nur ein völlig legitimes Bekenntnis zur eigenen künstlerischen Rolle. Vorwürfe, ein einstiger authentischer Indiegeheimtipp habe sich nun den Mainstreammantel übergeworfen, wirken da letztlich deplatziert und unsinnig. „Ich habe immer ein Problem mit Autorität gehabt. Ich finde es problematisch, wenn sich Leute zu ernst oder zu wichtig nehmen. Genau darüber mache ich mich lustig. Mir ist wichtig, Menschen zu unterhalten. Wenn jemand zu meinen Konzerten oder Shows kommt und danach sagt, das sei das Beste gewesen, was er oder sie diese Woche erlebt hat, bin ich zufrieden.“

Das klingt ganz nach dem aktuellen „Showman Olli Schulz“. Und doch blitzt bei aller Professionalität auch ein kleiner Romantiker auf. Einer, der weiß, dass man neben all dem Spaß, der in den eigenen Geschichten steckt, die Zeiten und Momente dahinter vielleicht genau so festhalten kann. Einer, der auf der Suche ist nach dem Moment „wenn die Musik jeden Lärm und jeden Schmerz von dir nimmt“.

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