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Archiv-Artikel

Mehr Rouge für Schweine

SCHLAGLOCH VON HILAL SEZGIN Über die Pseudo-Transparenzoffensiven der Fleischindustrie

Hilal Sezgin

■ ist Journalistin und Schriftstellerin. Sie lebt in der Lüneburger Heide auf einem Hof mit Ziegen, Hühnern und Gänsen. Zuletzt erschien von ihr: „Landleben. Von einer, die raus zog“ (DuMont Verlag, 9,99 Euro).

Das mit dem Pferdefleisch mal ganz beiseite. Schon seit ein, zwei Jahren ist die Fleischbranche in Aufruhr. Negative Presse, Kritik an der Massentierhaltung: In nahezu allen landwirtschaftlichen Fachzeitschriften wird lamentiert, der gute Ruf sei in Gefahr. Das neue Mittel dagegen: „Transparenzoffensiven“.

Der Bauernverband Schleswig-Holstein hat zum Beispiel kürzlich per Webcam Bilder aus einer Ferkelaufzucht gezeigt. Sollte die Verbraucher beruhigen. Hat aber nicht. Waaas, so eingequetscht müssen die Sauen da liegen? Es hagelte entsetzte E-Mails. Blöd gelaufen.

Lebensziel Schlachtung

Am anderen Ende des Schweinelebens: die Schlachtung. Dass die Idee der „schonenden Schlachtung“ eben nur so eine Idee ist, hat eine Kleine Anfrage der Grünen im Jahr 2012 ergeben. Die Fehler und Qualen in deutschen Schlachthöfen sind immens. Seitdem hat der Verband der Fleischwirtschaft „umfassende Leitfäden“ zur Schlachtung erstellt. Allerdings wollen sie diese Leitlinien nicht bekannt geben. Mehrfach habe ich den Sprecher des Verbands angeschrieben; aus zwei siebzigseitigen Dokumenten schickte er endlich „Auszüge“ von je sechs Seiten, in denen von Schlachtung gar nicht die Rede war. Schließlich schrieb ich, wenn er mir die Leitlinien nicht zusenden wolle, müsse ich wohl schreiben, dass man sie mir nicht zusenden wolle. Was ich hiermit getan habe.

Auch der Landesverband der Niedersächsischen Geflügelwirtschaft hat eine „Transparenzoffensive“ gestartet. Angeblich haben sich etliche Dutzend Betriebe angemeldet. Allerdings können Interessierte die Termine zur Hofbesichtigung keineswegs frei vereinbaren, sondern müssen auf die Bekanntgabe eines Tags der offenen Tür warten. Da ist es für die Betreiber natürlich nicht schwer, vorher schön aufzuräumen, frischen Sand reinzugeben und vor allem sehr junge Tiere bereitzuhalten, die entsprechend gut aussehen. Masthühner in einem Alter von mehreren Wochen, die aufgrund ihres abnormalen Wachstums vornüber fallen, sich kaum bewegen können, Ballenabszesse und entzündete Stellen haben, bekommt man da wohl eher nicht zu Gesicht.

Den neuesten Schritt zum Aufhübschen der Fleischindustrie hat ausgerechnet der Deutsche Tierschutzbund getan: mit dem Tierschutzlabel, im Bereich der Schweinemast bisher nur in ungefähr zwanzig Ställen des Großkonzerns Vion umgesetzt. Mit der Transparenz ist es da ganz ähnlich: Bisher bekamen sämtliche Journalisten stets dieselben drei Ställe zu Gesicht. Ich bestand darauf, einmal einen anderen Betrieb zu sehen. Wochenlang hatte ich bei Vion-PR-Chef Karl-Heinz Steinkühler keinen Erfolg. Dann schrieb ich, ich müsse wohl schreiben, dass man nur die Vorzeigebetriebe zeigen wolle. Am selben Abend erhielt ich Antwort, er werde mir zwei andere Betriebe zeigen und „alle Türen öffnen“. Nur jetzt gerade habe er keine Zeit. Er meldete sich nie wieder.

Ein Team von Tierrechtsaktivisten (Ariwa) hat einen dieser Vorzeigebetriebe nachts mit der Kamera besucht, als gerade kein Vorzeigen geplant war. Sah nicht gut aus. Der entsprechende Landwirt, daraufhin von einem SWR-Redakteur zur Rede gestellt, erklärte, von Ariwa sei nur ein Prozent seines Stalls so ungünstig gefilmt worden. Allerdings weigerte er sich, dem SWR-Team die anderen 99 Prozent zugänglich zu machen. Der Tierschutzbund steht trotz der Bilder hinter dem Landwirt und zu dem Konzept und überrascht mit dem Einwand: „Die Aufnahmen fanden nachts, für die Tiere unvorbereitet, statt.“

Die Kuh-Kuhle stört

Unvorbereitet ist natürlich nicht gut. Wobei man sich fragt, wie viel Rouge die Schweine sonst so auflegen, bevor ein Kamerateam daherkommt. Obwohl: Bei Kühen wird das ja tatsächlich gemacht. Die professionelle Kuhfotografie (für Kataloge, Werbung, Deko) arbeitet mit allen Mitteln und gleicht die Kuhle im Rückgrat der Kuh mit angeklebten Haaren aus.

Doch zurück zum Tierschutzfleisch, wie es salopp genannt wird. Man sollte meinen, in dem Moment, wo ein Tier als Steak auf dem Teller liegt, sei wohl der letzte Beweis erbracht, dass es nicht hinreichend geschützt wurde. Sonst wäre es ja nicht geschlachtet worden. Geschlachtet heißt: gewaltsam getötet. Trotz all der notwendigen Kritik an Haltungsbedingungen, bei all dem Gerede von glücklichen Tieren (die ja tatsächlich gar nicht glücklich, sondern nur ein wenig weniger unglücklich sind), sollte man nicht vergessen: Auch ein glückliches Tier will leben. Es zu töten ist Unrecht.

Wenigstens ein bisschen helfen

Wenn ein Tier als Steak auf dem Teller liegt, scheint es nicht geschützt worden zu sein. Sonst hätte man es ja nicht geschlachtet

Mangelnde Transparenz ist also nur das eine Problem. Das grundsätzliche: Sollen Tierschützer Siegel vergeben für Fleisch, das man angeblich mit gutem Gewissen kaufen darf? Ich bin ja nicht grundsätzlich gegen Reformen. Das große Umdenken, durch das alle Tiere aus ihrer von Menschen verursachten Qual erlöst werden, wird möglicherweise erst spät oder vermutlich nie kommen. Bis dahin müssen wir uns wohl fragen: Wie können wir den heute lebenden Tieren wenigstens ein bisschen helfen?

Doch wie groß ist denn jeweils dieses bisschen? Beim Tierschutzlabel ist es klitzeklein. Dessen Ferkel stammen aus der konventionellen Ferkelmast. In der Einstiegsstufe haben sie gerade mal ein Drittel mehr Platz als konventionell. Sogar das (betäubungslose!) Kupieren der Schwänze soll erst innerhalb von zwei Jahren eingestellt werden. Solch lange Übergangsfristen sind der Fluch der Tiere: Die Bestimmungen lesen sich nett, doch ihr Leben bleibt elend.

Hilft man also den Tieren – oder hilft man den Menschen, mit gutem Gewissen Tiere zu essen? Das Tierschutzlabel helfe den Erzeugern, sich „einen wichtigen Markt zu erschließen“, sagte Ilse Aigner auf der Grünen Woche. Spätestens bei solch einer Aussage müsste jeder engagierte Tierschützer dazwischenrufen: Moment mal, neue Fleischmärkte zu erschließen, ist eigentlich nicht unser Ziel! Keine Tiere einsperren. Keine töten! Dieses eigentliche Ziel des Wegs muss immer sichtbar bleiben. Zu kleine Schrittchen dorthin sind keine Reformen, sondern faule Kompromisse.