Keine Buße für Boykotteure: Zensus mit Erfolg ausgesessen

Weil die Erhebung abgeschlossen ist, verfallen Zwangsgeldbescheide. In Niedersachsen wird die Vollstreckung erstmals ausgesetzt, Hamburg und Schleswig-Holstein nennen neue Zwangsgelder "Rechtsbruch".

Wird nicht für alle Folgen haben: Boykott der Volkszählung von 2011 Bild: dpa

HANNOVER/HAMBURG taz| Für die Zensus-Verweigerer in Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein gibt es begründete Hoffnung, der Befragung im Rahmen der Volkszählung 2011 ohne teures Zwangsgeld zu entgehen. Wie der Arbeitskreis (AK) Zensus am Dienstag in Hannover bekannt machte, gibt es in Niedersachsen nun einen ersten Fall, in dem eine der landesweit 51 Erhebungsstellen auf die Vollstreckung eines Zwangsgeldbescheids definitiv verzichtet.

11.000 dieser Zwangsgeldbescheide hat der Landesbetrieb für Statistik und Kommunikationstechnologie (LSKN), in Niedersachsen für die Durchführung des Zensus zuständig, im Frühjahr an all jene verschickt, die sich einer Befragung verweigert haben. Mehrere Hundert Menschen hätten Zwangsgelder bezahlt, wie der LSKN auf Nachfrage mitteilt.

Täglich reichen noch mehrere Hundert Betroffene ihre Zensus-Antworten nach. Die Haushaltsbefragung aber ist in Niedersachsen zwischenzeitlich abgeschlossen. Zehn Prozent der Bevölkerung – also 813.000 Niedersachsen – waren dafür nach dem Zufallsprinzip ausgewählt worden. Einzig die Gebäude- und Wohnungszählung, bei der 2,3 Millionen niedersächsische Immobilieneigentümer befragt werden, läuft noch. Auch hier geht der LSKN davon aus, dass die Erhebung in den nächsten Wochen ihr Ende findet.

Die erste EU-weite Volkszählung hat im Mai 2011 begonnen. Erste Ergebnisse sollen im November veröffentlicht werden.

Gewonnen werden sollen Bevölkerungszahlen, demografische und sozioökonomische Daten sowie Daten zur Wohnsituation.

Eine Verfassungsbeschwerde vom AK Zensus und gut 13.000 Unterstützern gegen das Zensusgesetz, das die Befragung in Deutschland regelt, hat das Bundesverfassungsgericht 2010 abgewiesen.

In der Kritik stehen vor allem die Datensicherheit und Fragen, die über die EU-Vorgaben hinausgehen: etwa die zur Religionszugehörigkeit oder zum eigenen Herkunftsland sowie dem der Eltern.

Mit dem Ausklang der Befragung wird auch der Verzicht auf die angedrohten 300 Euro Zwangsgeld begründet, der jetzt an einen niedersächsischen Zensus-Gegner verschickt wurde. Der Mann hatte sich beharrlich geweigert, die 46 Fragen zu Alter, Geschlecht, Beruf, Herkunft, Religion, Bildung und Wohnsituation im Zuge der Haushaltsbefragung zu beantworten – obwohl die Behörden ihm mündlich und schriftlich nicht nur mit Zwangsgeld, sondern auch mit Zwangshaft gedroht hatten.

Entsprechend überraschend kam für ihn jetzt das Schreiben der zuständigen Erhebungsstelle: „Da die Erhebung abgeschlossen ist“, heißt es darin, „hat die Zwangsgeldfestsetzung ihren Zweck verloren.“ Davon „unberührt“ bleibe allerdings die Zahlung der angefallenen Verwaltungsgebühren: 106 Euro muss der Boykotteur zahlen, weil er seine persönlichen Daten nicht preisgeben wollte.

„Praktisch gegenstandslos“ werden damit auch alle anderen Zwangsgeldverfahren in Niedersachsen, folgert Michael Ebeling, Sprecher des AK Zensus, aus diesem Fall.

Eindeutig bestätigen mögen Niedersachsens Statistiker das nicht. Auf die Frage, ob mit dem Ende der Datenerhebung auch alle weiteren Mahnverfahren hinfällig sind, antwortet man nur ausweichend: Die Entscheidung, „ob sie die Beitreibung der Zwangsgelder fortsetzen oder einstellen“, liege bei den einzelnen kommunalen Erhebungsstellen, heißt es beim LSKN.

Jürgen Delitz vom Statistikamt Nord, zuständig für die Abwicklung des Zensus in Hamburg und Schleswig-Holstein, wird da präziser: Es sei „äußerst unwahrscheinlich“, so Delitz, dass jetzt noch Zwangsgeldbescheide rausgehen würden. Da die Erhebung auch in Hamburg und Schleswig-Holstein „praktisch abgeschlossen“ sei, habe es keinen Sinn, Säumige mit Zwangsmitteln noch zur Teilnahme am Zensus zu bewegen.

Mehr noch: „Wenn ein Zwangsgeld seinen Zweck nicht mehr erfüllen kann, ist seine Verhängung rechtswidrig“, gibt Delitz den Auskunfts- und Zahlungsverweigerern juristische Argumente, das Zwangsgeld nicht mehr zu bezahlen.

Wem noch offene Zwangsgeldbescheide für die Haushaltsbefragung vorliegen, rät deshalb Ebeling vom AK Zensus, der solle den Behörden „auf den Zahn fühlen“, für welche Zwecke seine Daten überhaupt noch gebraucht würden. Der jetzt bekannt gewordene offizielle Verzicht auf ein Zwangsgeld könne ein „wichtiges Werkzeug“ sein, auf das sich Zensus-Verweigerer berufen können, meint Ebeling.

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