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Archiv-Artikel

Längst eine Frauenkrankheit

Jeder vierte HIV-Patient ist eine Patientin. Doch die weibliche Seite der Krankheit wird meistens ausgeblendet. Dabei werden infizierte Frauen schlechter versorgt, sie sind ärmer und einsamer

VON BRIGITTE MASER

Etwa 10.500 HIV-Positive oder an dem Virus erkrankte Menschen leben in Nordrhein-Westfalen. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Infizierten um 20 Prozent (taz berichtete). Dass ein Viertel der Infizierten weiblich ist und jede zweite positiv getestete Frau eine Migrantin, ist in Öffentlichkeit, Forschung und bei der Betreuung jedoch nur ein Randthema. Die Landesarbeitsgemeinschaft „Frauen und AIDS“ in Nordrhein-Westfalen will das mit ihrer im November gestarteten Kommunikationskampagne „XXelle“ ändern.

Mit guten Worten und mit Straßenaktionen in vielen Städten des Bundeslandes suchen die Aktivistinnen den Weg heraus aus der Ignoranz und zunehmenden Präventionsmüdigkeit. „Das ist notwendig, nach wie vor gelten Schwule und Drogengebraucher als vorrangig Betroffene. Dass auch Frauen von HIV und AIDS betroffen sind, wird in der Gesellschaft meist vergessen“, sagt Heike Gronski vom Vorstand der AIDS-Hilfe Nordrhein-Westfalen.

Dabei sind die Auswirkungen einer HIV-Infektion gerade für Frauen besonders gravierend, weil die Krankheit bei ihnen oft mit sozialer Vereinsamung und Armut einher geht. Sie sind zumeist jünger wenn sie sich infizieren und – auf Grund ihrer Erwerbsbiographie – finanziell schlechter abgesichert. Ihre Grundversorgung erfolgt in der Regel durch Hartz IV – also am Rande des Existenzminimums. Viele der Frauen sind dazu noch allein erziehend, leben zurückgezogen und verheimlichen ihre Infektion, um sich und ihre Kinder vor sozialer Ausgrenzung zu schützen. AIDS gilt eben nach wie vor nicht als eine normale chronische Infektionskrankheit.

Obwohl mittlerweile bekannt ist, dass Frauen bei einer Infektion, im Vergleich zu Männern, andere Symptome entwickeln und einen anderen Krankheitsverlauf haben, bleiben die geschlechtsspezifischen Unterschiede auch in Forschung und Diagnostik oft außen vor. Die Wirkung und Dosierung von Medikamenten ist in Größe und Gewicht auf infizierte Männer zugeschnitten. In der stillen Hoffnung, dass es auch bei Frauen schon irgendwie passt und keine nennenswerten Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Durchfall oder Organschäden auftreten. „Natürlich bemühen sich die behandelnden Ärzte um eine individuelle Dosierung und achten darauf, dass eine afrikanische Frau einen andren HIV-Virustyp hat und andere Medikamente benötigt“, sagt Doris Kamphausen von der Aids-Hilfe Köln. Doch reagierten Frauen nun mal anders und hätten Probleme mit den marktüblichen Kombitherapien. „Geforscht wird eben da, wo am meisten Profit gemacht wird. Und das sind hierzulande nun mal die Männer. Wenn 70 Prozent der Frauen infiziert wären und keine Kinder mehr bekämen, dann würde die Pharmaindustrie sicherlich andere Schwerpunkte setzen“, glaubt Heidi Eichenbrenner von der Kölner Aidshilfe .

Trotz allgemein verbesserter Therapiemöglichkeiten ist die medizinische Versorgung von Frauen noch unzureichend. Nur wenige Gynäkologen sind überhaupt vertraut mit der HIV-Thematik. Gerade die frauenspezifischen Erkrankungen bei Infizierten – wie Gebärmutterhalskrebs, Infektionen des Unterleibs oder chronische Pilzinfektionen im Mund und Genitalbereich – werden außerhalb von Schwerpunktpraxen nur selten in direktem Zusammenhang mit einer HIV-Infektion diagnostiziert. Viele Frauen erfahren erst sehr spät und meistens zufällig von ihrer Infektion – im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen oder bei einer attestierten Schwangerschaft. Und dann stehen die werdenden Mütter auch noch vor der Frage: Austragen oder Abtreiben. Dabei liegt die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung des Kindes nach neusten Forschungsergebnissen nur bei einem Prozent.

Auch Claudia, die anonym bleiben möchte, hat zufällig bei einem Routine-Check vor zwölf Jahren von ihrer HIV-Infektion erfahren. „Ich hätte gerne ein Kind bekommen. Doch das ist mit der Erkrankung schwierig. Schließlich würde ich auch noch erleben wollen, wie es groß wird“, sagt die 42-Jährige und erinnert daran, dass AIDS – nach wie vor – nicht heilbar ist.