: Gericht stoppt das Volk
Verfassungsgericht erklärt Volksbegehren „Bildung ist keine Ware“ für erledigt. Initiative sieht hohe Hürden für Elemente direkter Demokratie
von Marco Carini
Frust und Ratlosigkeit allerorten. „Ich weiß nach diesem Urteil wirklich nicht mehr, wie man ein Volksbegehren noch formulieren soll, so dass es juristisch Bestand hat“, sagt Holger Gisch von der Hamburger Elternkammer schulterzuckend. Auch der Verfassungsrechtler Dieter Sterzel sieht durch das Urteil Hürden „aufgetürmt, die so hoch“ seien, dass „eine kritische Kontrollfunktion des Volkes gegenüber dem Parlament“ nicht mehr gegeben sei. „Die Substanz des Volksentscheids wird vom Gericht auf belanglose Entscheidungsmöglichkeiten eingeschränkt“, pflichtet Klaus Dieter Schwetscher von der Gewerkschaft ver.di bei. Jetzt gehe es darum den „Volksentscheid als direktdemokratisches Konzept zu retten“.
Anlass für die resignierten Stellungnahmen ist ein gestern verkündetes Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichtes, das den geplanten Volkentscheid zur Verhinderung der Privatisierung der Beruflichen Schulen kurzerhand für erledigt erklärt. Weil die Bürgerschaft die einst geplante Überführung der Schulen in eine Stiftung und auch jede andere Form der Privatisierung vor genau einem Jahr abgelehnt habe, sei das Hauptanliegen der Volksinitiative „Bildung ist keine Ware“ bereits umgesetzt.
Doch die Initiative hatte sich in dem Volksbegehren auch gegen den nach wie vor geplanten stärkeren Einfluss von Wirtschaftsvertretern auf die Beruflichen Schulen gewandt. Dazu heißt es im Text des Volksbegehrens: „Ich bin dafür, dass Hamburgs staatliche berufliche Schulen wie bisher unter unmittelbarer und uneingeschränkter staatlicher Leitung und Verantwortung der Freien und Hansestadt Hamburg bleiben.“
Dieser Satz samt Anknüpfung zum weiteren Text – „Daher (...)“ –, so urteilte das Gericht einstimmig, könne nur als Begründung bewertet werden, nicht aber als eigenständiges „Anliegen des Volksbegehrens“. Er stelle sich, so das Gericht, „dem Betrachter als Angabe des Beweggrundes dar, der Anlass für die nachfolgende Aufforderung“ sei, die Berufsschulen nicht zu privatisieren.
Eine juristische Spitzfindigkeit, die den DGB-Vorsitzenden Erhard Pumm auf die Palme treibt. „Es ist schade, dass in dem Prozess vor dem Verfassungsgericht vor allem Satzauslegungen stattfanden“, beklagt er, „die inhaltlich gewollte und erkennbare Zielrichtung des Volksbegehrens aber nicht ausschlaggebend war für die Entscheidung.“ Mit dem Urteil sei „der direkten Demokratie in Hamburg einmal mehr ein Dämpfer verpasst“ worden. Nun dränge sich die Frage auf, „worüber das Volk eigentlich noch entscheiden darf“.
„Statt in eine Stiftung sollen die Berufsschulen nun in einen Landesbetrieb ausgegliedert werden“, und der Einfluss der Wirtschaft verstärkt werden, ergänzt Pumms Stellvertreterin Sigrid Strauß. Das sei „im Kern das alte Konzept, nur neu verpackt“.
Thomas Schulback, Vize-Chef des Deutschen Lehrerverbandes Hamburg droht deshalb bereits mit „weiteren rechtlichen Schritten gegen jede Art der Privatisierung“. Das Verfassungsgericht habe nicht darüber befunden, ob die geplante „Beteiligung der Wirtschaft“ in den Gremien der Berufsschulen „verhältnismäßig und verfassungsgemäß“ sei. Sollte die Wirtschaft aber „einen einseitigen und unangemessenen Einfluss“ auf die Berufsschulen erhalten, werde man gemeinsam mit dem Deutschen Beamtenbund „alle rechtlichen Druckmittel ausschöpfen“.
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