Debatte Betreuungsgeld: Herdprämie ein Schuss in den Ofen
Die OECD hat laut einer Studie keine gute Meinung zum Betreuungsgeld. Das bestärkt die lauter werdende Kritik in Politik und Wirtschaft.
BERLIn dpa | Das in Deutschland geplante Betreuungsgeld kommt nach einem Zeitungsbericht in einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) schlecht weg. Es könne nicht nur die Beschäftigungsquote von Frauen schwächen, sondern sich auch negativ auf die Integration von Zuwanderern auswirken, schreibt „Die Welt“ unter Berufung auf Ergebnisse der Studie.
Laut OECD-Studie tendieren besonders Frauen aus Zuwandererfamilien mit sozial schwachem Hintergrund dazu, Geld vom Staat anzunehmen und ihre Kinder zu Hause zu versorgen, statt eine Arbeitsstelle und Betreuung zu suchen. So sei in Norwegen die Quote der am Arbeitsmarkt beteiligten Zuwanderinnen in der Folge des Betreuungsgelds um 15 Prozent gesunken.
„Subventionen, die Eltern gezahlt werden, deren Kinder nicht in einen Kindergarten gehen, können sich auf die Arbeitsmarktbeteiligung von Zuwandererfrauen höchst nachteilig auswirken. Dies gilt besonders für gering ausgebildete Frauen mit mehreren Kindern, die in Ländern mit hohen Betreuungskosten leben“, heißt es in der Studie „Jobs for Immigrants“, die Zahlen aus Norwegen, Österreich und der Schweiz auswertet.
Ganz generell könne sich das Betreuungsgeld negativ auf die Integration von Zuwanderern auswirken: „Die Integration von Zuwanderermüttern in den Arbeitsmarkt – besonders jene mit geringer Ausbildung – ist direkt verbunden mit der Bildung ihrer Kinder. Es gibt zunehmend klare Belege dafür, dass die Teilnahme an kindlicher Bildung für ab Dreijährige einen starken Einfluss auf den Bildungs- und Werdegang von Kindern aus sozial schwachen Zuwandererfamilien hat. Nachweislich profitiert diese Gruppe am meisten von den Bildungsangeboten.“
Überall ein Misserfolg
Die Grünen forderten Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) auf, sich für ein ordentliches parlamentarisches Verfahren beim Betreuungsgeld einzusetzen. „Rechtliche, haushalts- und familienpolitische Fragen zu diesem Gesetz müssen im Parlament angemessen beraten werden“, sagte der Erste Parlamentarische Grünen-Geschäftsführer Volker Beck zu Handelsblatt Online. Ein solches Beratungsverfahren lasse dann aber eine Verabschiedung des Gesetzentwurfes vor der Sommerpause nicht zu.
Beck unterstrich, dass auch Koalitionsabgeordnete „massive verfassungsrechtliche Bedenken“ angemeldet hätten. „Diese müssen im Familien-Ausschuss mit Sachverständigen erörtert werden können“, sagte er. „Für ein parlamentarisches Hopplahopp beim Betreuungsgeld gibt es keinen Grund.“ Die Koalition sei offenkundig „auf der Flucht vor gesellschaftlichem Widerstand und hat Angst vor einer öffentlichen Diskussion in der Sommerpause“.
DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann hatte die Regierung am Wochenende aufgefordert, die für das Betreuungsgeld vorgesehen 1,2 Milliarden Euro lieber in den Kita-Ausbau zu stecken. „Dieses Thema regt mich wirklich auf“, sagte der Chef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) der „Wirtschaftswoche“. Das Betreuungsgeld setze falsche Signale und halte Frauen davon ab, arbeiten zu gehen.
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) bekräftigte die Absicht, mit einer Verfassungsklage gegen das Betreuungsgeld vorzugehen. Der rheinland-pfälzische Regierungschef Kurt Beck (SPD) hält das Betreuungsgeld nach wie vor im Bundesrat für zustimmungspflichtig - anders als die Bundesregierung. „Es gibt über die Parteigrenzen hinweg Widerstand gegen diesen Anachronismus.“ Überall in Europa, wo ein Betreuungsgeld eingeführt worden sei, „war es ein Misserfolg“.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alleingang des Finanzministers
Lindner will Bürgergeld kürzen
Putins Brics-Gipfel in Kasan
Club der falschen Freunde
Deutsche Asylpolitik
Die Hölle der anderen
Kritik an Initiative Finanzielle Bildung
Ministeriumsattacke auf Attac
Linke in Berlin
Parteiaustritte nach Antisemitismus-Streit
Investitionsbonus für Unternehmen
Das habecksche Gießkannenprinzip