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Archiv-Artikel

„Therapie von Übergewicht ist ein Geschäft“

Der Ernährungsexperte der Deutschen Krebsgesellschaft, Hans Konrad Biesalski, über die fragwürdigen Kampagnen für angeblich krebsvorbeugende Essgewohnheiten. Obst und Gemüse sind gesund – Krebs verhindern sie nicht

taz: Herr Biesalski, ich habe gestern nur viermal Obst und Gemüse gegessen. Ist das schlimm?

Hans Konrad Biesalski: Nein. Ich vertrete den Standpunkt, dass die Menge zunächst einmal egal ist, Hauptsache, die Leute essen Obst und Gemüse.

Der Verein „5 am Tag“ fordert, die Hälfte jeder Mahlzeit solle aus Obst und Gemüse bestehen. Wie realistisch ist die Forderung?

Meine Kritik ist zu verstehen als Kritik nicht am Programm, sondern an der Realisierbarkeit. Für eine Familie mit zwei, drei Kindern ist das aus meiner Sicht weder finanziell noch vom Arbeitsaufwand her machbar. Wenn wir Pflanzliches und Tierisches im Verhältnis drei zu eins essen, zählen auch Kartoffeln, Reis und Nudeln dazu. Es gibt eine Menge Vitamine, die vorwiegend in Fleisch enthalten sind.

„5 am Tag“ behauptet, 30 bis 40 Prozent der Krebserkrankungen gingen auf das Konto falscher Ernährung. Eine neue Arbeit im Fachblatt The Lancet spricht von weltweit 5 Prozent Krebstodesfällen aufgrund der Ernährung mit zu wenig Obst und Gemüse. Wie passen diese beiden Meldungen zusammen?

Studien haben inzwischen gezeigt, dass Gemüsemangel und Brustkrebserkrankungen nicht miteinander korrelieren. Man kann trotzdem sagen, dass viel Obst und Gemüse einen gewissen Schutz vor Brustkrebs bieten, nämlich immer dann, wenn ich durch meinen Verzehr von Obst und Gemüse mit eher geringem Energiegehalt kein Übergewicht kriege. Denn die Korrelation Übergewicht und Brustkrebs ist eindeutig.

Auf der Homepage von „5 am Tag“ lautet eine der aktuellen Meldungen: „Frauen, die viel Knoblauch, Zwiebeln, Lauch oder Schnittlauch essen, haben möglicherweise ein verringertes Risiko, an Eierstockkrebs zu erkranken.“ Was halten Sie davon?

Eigentlich nichts. Ein pharmakologischer Ansatz mit einzelnen Inhaltsstoffen macht keinen Sinn. Das belegt mir, dass nur die ausgewogene Mischkost wirklich sinnvoll ist, denn da ist alles drin.

„5 am Tag“ gibt es seit Mai 2000. Mittlerweile ist der Verein ein Global Player. Stellt sich ihm die Sinnfrage überhaupt noch?

Das kann ich nicht sagen. Den Anstoß zu der Kampagne hat die Firma Dole gegeben. Deswegen zeigt das Label unsinnigerweise eine Banane. Der Einsatz von Dole ist ja völlig legitim, jeder will Geld verdienen. Ich frage mich nur, ob die Kampagne das richtige Instrument zur Prävention von Krebs ist. Krebs ist angstbesetzt.

Der Verein besteht nicht nur aus der Firma Dole. Mitglieder von „5 am Tag“ sind Gesundheitsinstitutionen und Unternehmen. Ist „5 am Tag“ ein Lobbyverein?

Er hat durchaus Strukturen einer Gemüse-Obst-Lobby. Womit ich das nicht werten will. Lobbyismus kann ja durchaus etwas Positives sein. Die Propagierung eines hohen Obst- und Gemüseverzehrs berücksichtigt ja auch die besondere Bedeutung dieser Lebensmittel mit geringer Energiedichte. Sagen wir so: Wenn die Unternehmung halbwegs frei von primärökonomischen Aspekten wäre, dann müsste sie sich von Zeit zu Zeit auf der Grundlage der sich verändernden Wissenschaft kritisch durchleuchten. Das ist nicht wirklich zu erkennen. Es gibt zwar einen wissenschaftlichen Beirat, der sich äußern kann, der wohl aber nicht mehr wirklich gefragt wird.

Die Krebsgesellschaft will Ihren Schwerpunkt mehr auf optimale Ernährung während der Krebstherapie legen. Stimmt es, dass jeder fünfte Krebspatient schlicht verhungert?

Zunächst einmal ist die Mangelernährung Teil der Krankheit, wird allerdings oft übersehen. Dabei hat eine Untersuchungen gezeigt, dass 35 bis 40 Prozent aller Patienten bereits bei der Erstdiagnose Zeichen von Fehl- und Mangelernährung zeigen. Aber fragen Sie einmal nach, bei wie vielen Patienten bei der Aufnahme ein Ernährungsstatus erhoben wird. Selbst ein übergewichtiger Patient kann mangelernährt sein. Die reine Betrachtung des Körpergewichtes gibt hier also keine wirklichen Informationen.

Warum?

Natürlich ist das Übergewicht ein Risikofaktor für eine Vielzahl von Erkrankungen, und die Vermeidung von Übergewicht ist natürlich eine wichtige Krebsprävention.

Werden Sie jetzt Ihre Aufmerksamkeit von der Prävention abziehen und auf die Behandlung lenken?

Prävention ist nach wie vor ein wichtiges Mittel zur Krebsvorsorge, und man kann dies nicht wirklich von der Intervention trennen. Ich halte es im Moment für wichtiger und sinnvoller, darüber nachzudenken, wie man den Krebspatienten während und nach einer Behandlung ernährt. Das will die Deutsche Krebsgesellschaft in Zukunft verstärkt bearbeiten.

INTERVIEW: CHRISTIAN WEYMAYR