DVDESK : Merkwürdig tanzen
„Algebra in Love“. Regie: Whit Stillman; USA 2011
Das Licht, so viel Licht, alles gleißt auf dem Campus von Seaven Oaks. Mit der Realität darf man, soll man, das sieht man gleich, die helle und bunte Welt, die Whit Stillman entwirft, nicht verwechseln.
Vier Studentinnen treten auf, sie tragen die Namen von Pflanzen, meist Blumen: Violet, Heather, Lily und Rose. Adrett sind sie gekleidet, sorgfältig, altmodisch, und sie riechen sehr gut. Das begreift man im Umkehrschluss, denn nichts verabscheuen sie so sehr wie schlechte Gerüche. An denen es nicht mangelt auf dem Campus. In einer Weltgeruchsverbesserungsaktion verteilen die vier generell nicht unmissionarischen Damen duftende Seife unter den männlichen Kommilitonen. Der Erfolg hält sich in Grenzen.
Aber die Welt lässt sich auch anders verbessern. So sind die vier, Violet (Greta Gerwig) immer voran, die treibenden Kräfte des Selbstmordverhinderungszentrums. Sie führen Beratungsgespräche. Vor allem aber raten sie dringend zum Tanzen. Das hebt die Stimmung. Überhaupt Tanzen. Violets großer Traum besteht darin, einen Tanz zu erfinden, der einen großen „international dance craze“ auslösen wird. Am Ende wird man ihn sehen, den Tanz. Sie nennt ihn Sambola. Der Erfolg hält sich, ist anzunehmen, in Grenzen.
Dass Whit Stillman noch einmal einen Film dreht, damit war fast nicht zu rechnen. Mehr als drei Werke in zwanzig Jahren hat er nicht zustande gebracht. Dreizehn Jahre liegen zwischen „Last Days of Disco“ und dem nun auf DVD veröffentlichten „Algebra in Love“ (der in Wahrheit und Original den unendlich viel schöneren Titel „Damsels in Distress“ trägt). Es ist keineswegs so, dass Stillman nicht gern fleißiger wäre. Das Problem liegt vielmehr darin, dass sich für die sehr literarische, sehr schräge, sehr oberschichtenfixierte, sehr abseits gängiger Pfade liegende Sorte Komödie, auf die er spezialisiert ist, keine Geldgeber finden. Dabei werden mindestens „Metropolitan“ (1990) und „Last Days of Disco“ (1998) von manchen kultisch verehrt.
Und mit Greta Gerwig hat Stillman das Independent-Film-It-Girl der Stunde als Hauptdarstellerin gewonnen, eine sehr würdige Nachfolgerin von Chloë Sevigny, die mit „Last Days of Disco“ groß rauskam. Alle vier Damen (plus Priss, die „rat“, die „bitch“, die „rat bitch“) und auch eine ganze Reihe der jungen Männer sind toll, aber Gerwig ist noch mal eine andere Nummer. Höchst artikuliert und versponnen zugleich, schreitet sie entschieden voran, verzieht selten die Miene, verwandelt Unglück in Tanz und entzieht ihre Figur jeder Einordbarkeit.
Wollte man etwas in der Nähe des Kosmos von Stillman suchen, käme man am ehesten auf Wes Andersons Filme. „Damsels in Distress“ wäre aber auch als – freilich sehr verrückte, sehr intellektuelle – Fernseh-Sitcom vorstellbar. Formale Manierismen gibt es bei Stillman nämlich nicht. Der Dialog, mit einer Tendenz zum Monologischen, ist das, was eigentlich zählt. Aus Worten baut Stillman den schwankenden Grund, auf dem seine Figuren dann stehen. Oder merkwürdig tanzen.
Das klassische Musical ist eine eindeutige Referenz. Das Wahren der Form ist sehr wichtig. Kein Wunder, dass Stillman die Vulgaritäten eines Judd Apatow oder Adam Sandler verabscheut. Kein Wunder auch, dass ihn größerer Erfolg nie ereilte. Er hat den Zeitgeist noch stets recht weiträumig umsegelt. Den Fans des Vulgären ist er zu adrett. Den Freunden der Tiefe entschieden zu schräg. Den Freunden des Schrägen zu sehr auf gute Manieren bedacht. Irgendwie Minderheitenkunst. Aber ich schwöre: „Damsels in Distress“ ist ein zum Schreien komischer Film. EKKEHARD KNÖRER
■ Die DVD ist für rund 12 Euro im Handel erhältlich