: Vögel, Nester und Adalbert Stifter
VERFREMDUNG Der junge Künstler Björn Braun zerlegt im Braunschweiger Kunstverein Objekte nicht nur semantisch, sondern auch physisch. Dabei greift er auf Kategorien wie Heimat und Landschaft zurück
Winterlich kühl ist es derzeit in den klassizistischen Innenräumen des Braunschweiger Kunstvereins. Und die Besucher müssen erst drei Zimmer durchqueren, bis sie die Ursache dieses lokalen Klimawandels erkennen: ein Fensterflügel ist ausgehängt, aus seinem vermeintlichen Material ist ein schlichtes Vogelfutterhaus gezimmert, das nun gefiederte Besucher aus dem angrenzenden Park in den Innenraum locken soll.
Die Arbeit stammt von Björn Braun, 30 Jahre alt, Absolvent der Kunstakademie Karlsruhe und diesjähriger Preisträger der Nachwuchsauszeichnung „blauorange“ der Volks- und Raiffeisenbanken. Was bei Björn Brauns Arbeiten auffällt, ist ihr frischer Umgang mit bewährten Konzepten wie der Collage, dem „ready made“ oder der surrealistischen Verfremdung. Wenn Braun sich mit vorgefundenem Material beschäftigt, belässt er es nicht mehr bei der visuellen Umformung in einen neuen Bedeutungskontext. Er zerlegt das Material auch physisch, und das sehr radikal. „Das Haidedorf“ lautet der Titel eines ungegenständliches Bildes von ihm – und es ist hergestellt aus einer Leinenausgabe des gleichnamigen Heimatepos von Adalbert Stifter, das jener 1840 veröffentlichte. Zerkleinert, mehrere Tage im Dampfdrucktopf zu einer sämigen Masse verkocht und anschließend als grobe Zellulose neu geschöpft, lässt Braun eine nur noch assoziative Naturbeschreibung aufziehen. Einige Buchstabenfragmente, Einbandreste oder braune Leinenfetzen sorgen für einen Rest Erkennbarkeit, irgendwo zwischen Text, Abbildung und begreifbarer Topographie in kleinstem Maßstab.
Oder Braun entfernt aus einer schönen verwitterten Parkbank zwei Latten. Diese hängt er, zermahlen und wiederum zerkocht – das Holz benötigte ganze sieben Wochen zur Auflösung – als zwei fast monochrome Bildflächen gegenüber der Sitzposition auf. Eine horizontale Fuge spielt zwar noch mit dem Topos des Horizonts im traditionellen Landschaftsstück, dessen sittlicher Erbauungswert ist aber nicht mehr von Interesse.
Brauns Arbeiten eignet eine fast anrührende, für seine Generation wohl eher untypische Haltung mit direkten Rückgriffen auf Phänomene, Dinge und Beschreibungen der Natur, der Heimat und Landschaften. Adalbert Stifter, als Literat häufig kritisiert wegen seines verbal ausschweifenden, jedoch handlungsarmen Schreibstils, ist bezeichnenderweise ein konstanter Impulsgeber, ebenso wie Fotos aus altbackenen Heimatbüchern.
Und es sind Federn, Nester, Gelege und selbst lebende Vögel, die Braun auch ganz unmittelbar in seinen Objekten tätig werden lässt. So erweisen sich seine eigenen zwei Zebrafinken als kunstfertige Schöpfer bunter Nester, wenn er ihnen nur passendes und ästhetisch vorsortiertes Material zum Bauen überlässt. Oder die erhofften Meisen aus dem winterlichen Park – ganz zwanglos und natürlich bevölkern sie die Ausstellung, zumindest aber Brauns Gedankenwelt, der es gelingt, die recht weihevoll in der erhabenen Villa des Kunstvereins angelegte Schau kein bisschen antiquiert erscheinen zu lassen. BETTINA MARIA BROSOWSKY
Kunstverein Braunschweig, bis 31. Januar 2010