: „Manchmal muss man zuhauen“
PARALLELWELT „Club Inferno“ heißt das neue Stück der umstrittenen Performancegruppe Signa an der Volksbühne. Ein Gespräch mit Signa Köstler über die Simulation der Wirklichkeit, Regeln, Macht und Sex im Theater
■ Das Performancekollektiv Signa besteht aus Signa Köstler, Arthur Köstler und Thomas Bo Nilsson. Für ihre Aktionen verlassen sie die Theater, mit denen sie zusammenarbeiten. Ihre Stücke finden oft an heruntergekommenen Orten statt, an denen sie Parallelwelten erschaffen, durch die der Zuschauer navigieren muss.
■ Signa arbeiteten unter anderem mit dem Schauspiel Köln, dem Schauspiel Leipzig und den Salzburger Festspielen. 2008 waren Signa mit „Die Erscheinung der Marta Rubin“ beim Berliner Theatertreffen eingeladen. Ihre aktuelle Installation „Club Inferno“ ist eine Produktion der Volksbühne.
■ Termine: 8.–10. März, 12.–17. März, 19.–24. März, 9.–14. April, 16. – 21. April. Jeweils ab 18.30 Uhr, Tickets sind an der Kasse der Volksbühne erhältlich. Treffpunkt: Pavillon der Volksbühne.
INTERVIEW ENRICO IPPOLITO
taz: Frau Köstler, Sie sind Teil des Performancekollektivs Signa. Für Ihre Stücke verlassen Sie die klassische Theaterbühne und kreieren anderswo, oft an heruntergekommenen Orten, Ihre Paralellwelten, durch die man als Zuschauer seinen Weg finden muss. Wo findet denn Ihr neues Stück „Club Inferno“ statt?
Signa Köstler: Da will ich eigentlich nicht zu viel verraten.
Und was ist das Thema?
Der Ausgangspunkt für uns im „Club Inferno“ ist Dantes Inferno. Aber wir machen keine direkte Impression, ist auch gar nicht möglich mit dem Text. Wir erzählen die Geschichte von Herbert Godeux’ Casino. Er hat ein Inferno aufgebaut, das sich in eine hermetisch geschlossene Welt verwandelt hat. Und die Menschen dort hängen in diesem selbstgestalteten Höllenkreis fest.
Hermetisch abgeriegelte Räume sind ein zentrales Motiv bei Ihren Arbeiten.
Ich weiß nicht, ob ich das so sehe. Es gibt sehr viele soziale Konstrukte in unserer Gesellschaft, wo verschiedene Regeln gelten. Innerhalb eines Krankenhauses zum Beispiel oder eines Gerichtssystems oder eines Nachtclubs. Wir machen das deutlich, diese Transgression in eine andere Welt, um auch diese Benehmensstruktur und Regeln deutlich zu machen. Wir erfinden einen Raum, der sehr ähnlich ist. Eine Wirklichkeitssimulation. Das schafft Reflexion über darunterliegende Machtstrukturen.
Sind Ihre Stücke deshalb so brutal? In „Hades Fraktur“ betritt der Zuschauer eine übersexualisierte und gewalttätige Unterwelt, in „Hundsprozesse“ ist der Zuschauer angeklagt und weiß nicht, warum. Ihre Performances führen nicht bei jedem Zuschauer dazu, dass er sich zum Nachdenken über sich selbst angeregt fühlt. Wie gehen Sie damit um?
Unsere Stücke sollen eigentlich für jede Art von Publikumsposition flexibel genug sein. Einige Zuschauer sind leichter als andere, und einige wollen auch nur das Spiel kaputtmachen.
Sie wollen diese andere, fremde Welt zerstören?
Ja, das ist auch eine Reaktion. Dieses Realer-than-real-Gefühl bringt oft den Abwehrmechanismus hervor, dass Menschen das durchbrechen wollen, um sich wieder geborgen zu fühlen. Und manchmal kommen dadurch auch interessante Situationen zustande, weil die Schauspieler im Charakter bleiben.
Das ist Ihre wichtigste Regel: „Egal was passiert, im Charakter bleiben.“ Wie vermitteln Sie das Ihren Schauspielern?
Wir haben lange Proben und haben ziemlich viele Regeln und Strukturen, in die man sich zurückfallen lassen kann. Von außen wirkt es, als ob alles fließt, aber das erreicht man eben nur mit einer festen Struktur.
Sie beuten also nicht ihre Schauspieler aus? Das ist doch ein Vorwurf, mit dem Sie oft konfrontiert werden.
Das macht mich wütend. Die meisten haben mit uns sehr oft gearbeitet, obwohl wir oft nur wenig Geld zahlen können. Dann kommt aber immer das Argument, wir seien eine Sekte.
Wieso?
Das ist doch logisch. Man sieht sich unsere Stücke an und denkt halt: Das macht keiner freiwillig – das muss eine Sekte sein. Das ist aber für die Schauspieler eine große Beleidigung. Wir arbeiten nicht mit durchgedrehten Menschen. Es ist uns wichtig, dass die Schauspieler, mit denen wir arbeiten, stark, gesund und belastbar sind. Nur dann kann man auch das Gegenteil spielen.
Belastbar müssen Ihre Schauspieler auch sein, auch an ihre eigenen Grenzen gehen. Das zeigte sich vor allem bei „Villa Salò“ in Dänemark. Ihr bis jetzt härtestes Stück.
Es war ein sehr besonderes Stück und vor allem hart für das Publikum. Wir arbeiten auch viel mit Tricks. Die erklären wir aber nicht.
Das ist Teil des Spiels.
Wenn eine Lüge funktionieren soll, dann muss auch ein Anteil von Wahrheit da sein. Natürlich gibt es echte Gewalt, es ist nicht alles gespielt, aber trotzdem ist es keine Ausbeutung. Die Hierarchie ist nicht so, wie sie scheint.
Was fanden Sie so interessant an Pasolini?
Pasolini wollte ein ganz unversöhnliches Werk schaffen – aus Verzweiflung und aus Wut. Wir konnten das nicht „Half-Assed“ machen. Es musste unerträglich werden – und das wurde es auch.
Wäre die Debatte in Deutschland anders verlaufen? Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Arbeit hierzulande besser verstanden wird?
Ja, das ist eine ganz andere Kultur. Man nimmt hier Theater viel ernster. Die Kunst in Dänemark ist sehr ironisch, da herrscht immer ironische Distanz. Viele Dänen fühlen sich dann durch so etwas wie „Salò“ wirklich provoziert und beleidigt.
Und das war keine Absicht?
Das war vielleicht ein bisschen eine „Fuck you, Dänemark“-Haltung.
In Ihrem Stück wird viel getrunken, und es kursiert der Mythos, dass Schauspieler mit Zuschauern Sex hatten. Sie leben von diesen Mythen. Warum ist Sex so wichtig?
Unsere Stücke sind komprimierte Wirklichkeit. Das ist eine Fokussache. Das Publikum beschäftigt sich damit. Sex ist ein Mittel, das benutzt wird – auch bei uns. Wir machen keine erotische Kunst im positiven Sinne.
Sie haben einen guten Blick für Gesellschaft und Machtverhältnisse. Doch das Publikum bleibt am Ende allein, geht zurück in die eigene Wirklichkeit, während die andere, Ihre Welt weiterläuft.
Ja, wir haben nicht diesen Moment am Ende, wo wir vor das Publikum treten und uns verneigen.
Das macht es schwieriger für das Publikum.
Im besten Sinne ist es ein „shock to the system“. Die wertvolle Reflexion findet nachher statt. In der privilegierten Welt muss man halt manchmal ordentlich zuhauen und die Menschen aus ihrer Wohlfühlzone holen – das ist ganz wichtig.