: „Wir sind doch keine Bananenrepublik“
Die Affäre um CIA-Flüge mit Terrorverdächtigen in geheime Gefängnisse muss rückhaltlos aufgeklärt werden. Denn die Bundesregierung, so der Sicherheitsexperte Otfried Nassauer, muss zeigen, dass sie Herr im eigenen Staat ist
taz: Herr Nassauer, seit wann ist bekannt, dass es auch in Europa geheime Gefängnisse gibt, in denen womöglich Terrorverdächtige gefoltert wurden?
Otfried Nassauer: Die Washington Post berichtete vor etwa zwei Wochen, dass es auch in Mittel- oder Osteuropa zumindest ein Gefängnis geben soll, in dem Al-Qaida-Mitglieder untergebracht und möglicherweise gefoltert werden. Damit war für die Europäer eine völlig neue Situation gegeben. Sie waren direkt betroffen. Jeder europäische Staat ist verantwortlich für das, was auf seinem Territorium passiert, also z. B. dafür, dass das Folterverbot eingehalten wird. Das löste die Diskussion in Europa aus.
Welche Indizien gibt es für Terrorgefängnisse in Europa?
Beweise gibt es zurzeit noch nicht, es gibt Indizien: Die Meldung der Washington Post, die Flüge, die nach Europa und von dort weitergegangen sind, die Tatsache, dass Frankfurt in der Vergangenheit und jetzt Ramstein Lufttransport-Drehscheiben der USA sind. Man kann fragen: Wenn es das weltweit gibt, warum nicht auch in Europa? Hinzu kommt: Wir wissen um Guantánamo. Dass in Afghanistan und im Irak gefoltert wurde, ist aktenkundig. Daran waren nicht nur Militärs, sondern auch US-Geheimdienstler beteiligt.
Wie ist die rechtliche Lage in Deutschland?
Ich bin kein Jurist. Aber rechtlich stellt sich die Frage, ob Deutschland Beihilfe zu völkerrechtswidrigen Handlungen der USA geleistet hat oder sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht hat. Die Bundesrepublik muss Völkerrechtsbrüche auf ihrem Territorium verhindern – egal ob Folter oder Transitflüge mit Entführten. Das Bundesverwaltungsgericht hat kürzlich in einem Urteil untersucht, was die Bundesregierung den USA im Rahmen des völkerrechtswidrigen Irakkriegs auf deutschem Territorium erlaubte. Es hat der Bundesregierung vorgeworfen, viel zu weit gegangen zu sein.
Und das ist vergleichbar?
Ja, da kann man analog argumentieren: Geheime Flüge, mit denen entführte Terroristen zu Folterorten gebracht werden, darf die Bundesregierung einfach nicht tolerieren. Und wenn sie davon bisher wirklich nichts wusste, wäre es ihre Aufgabe, sicher zu stellen, dass sich dieses Nichtwissen nicht wiederholen kann. Deutschland ist doch kein failing state, der nicht für die Einhaltung des Rechts auf seinem Territorium sorgen kann.
Wie wird die Problematik in den USA diskutiert?
In den USA wird gerade intensiv debattiert, was die CIA darf und was nicht. Mit der Folter in Abu Ghraib erlebten die Streitkräfte ihr moralisches Waterloo; jetzt ist die CIA an der Reihe. Die Geheimdienstausschüsse im Kongress fordern von der Regierung, dass sie über die Flüge und die Befragungstechniken endlich Klarheit schafft. Die Senatoren und Kongressabgeordneten werden sich nicht damit zufrieden geben, wenn die CIA weiterhin behauptet, „innovative Befragungstechniken“, die Folter sind, seien keine Folter, weil die CIA sie nicht Folter nennt. Es gibt ein Gesetzesvorhaben, mit dem den Streitkräften und dem Geheimdienst explizit das Foltern verboten wird. Der angesehene Senator John McCain, in Vietnam selbst Folteropfer, vertritt es. Vizepräsident Cheney ist so explizit dagegen, dass der ehemalige CIA-Chef Stansfield Turner ihn zum „Vizepräsidenten für Folter“ ernannte. Die Regierung hatte größte Mühe, die Abstimmung, die sie sicher verloren hätte, zu vertagen. Es gibt etliche, die die Bush-Administration scharf kritisieren, weil sie so dem Ansehen der USA schade. Washington kann nicht glaubwürdig Demokratie und Rechtstaatlichkeit predigen, aber Autokratie und Folter praktizieren.
Außenminister Steinmeier war gerade in den USA. Was hat er erreicht, was hätte er erreichen müssen?
Steinmeier war in einer sehr schwierigen Situation. Merkel will das deutsch-amerikanische Verhältnis verbessern. Das kann sie aus Sicht der US-Regierung, wenn Deutschland Washington bedingungslos unterstützt – gerade beim „Krieg gegen den Terror“ oder im Irak. In Deutschland dagegen erwarteten alle, dass Steinmeier Klarheit in Sachen CIA bekommt. Das Ergebnis ist klassisch Diplomatie: Frau Rice hat Aufklärung zugesagt, doch ob die sehr detailliert sein wird, wage ich zu bezweifeln.
Was also soll die Bundesregierung tun?
Sie darf sich nicht mit Halbwahrem zufrieden geben. Sie muss wissen, was auf ihrem Territorium passiert und klar machen, dass auf deutschem Territorium internationales Recht – z. B. in Sachen Menschenrechte und Folter – so auszulegen ist, wie Deutschland das tut. Wer wie Merkel die Nato, die sich ja als Wertegemeinschaft versteht, stärken will, der muss auch klären, welche Werte er meint und in welcher Interpretation sie gestärkt werden sollen. Schließlich geht es hier um Menschenrechte.
INTERVIEW: MAIK FORBERGER