Kolumne Heimatkunde Seenplatte: 40 km südlich von Nossendorf
Lokalpolitiker können Demmin von Tellow nicht unterscheiden. Und in Randow weiß auch keiner so genau, wo Papiermühle liegt.
Kathrin Grumbach ist Grüne, Kathrin Grumbach ist Vorsitzende des Bau- und Umweltausschusses und Kathrin Grumbach befleißigt sich aus dem Stand der geschliffenen Rede. Zum Beispiel dann, wenn sie ihre Ausschusssitzung eröffnet mit einem fröhlichen „Ich begrüße Sie ganz herzlich hier in… äh, wo sind wir eigentlich? Wo tagen wir heute? In…, in Demmin.“
Macht ja nichts. Ein kleiner Stolperer kann schon mal vorkommen, wenn der noch unbekannte Landkreis größer ist als ein kleines Bundesland und wenn man wie Kathrin Grumbach pflichtbewusst vor der Sitzung die unbekannten kreiseigenen Immobilien auf dem unbekannten Terrain des unbekannten Sitzungsortes erkundet hat.
Den meisten Menschen hier wie im ganzen großen Großkreis würde es auch nicht anders gehen. Wer weiß denn schon unten in Mirow, wo oben zum Beispiel Nossendorf liegt? Dabei hat dort der mehr oder weniger berühmte Regisseur Hans-Jürgen Syberberg sein wieder erstandenes Gutshaus zum Land-Art-Projekt erklärt und er würde wohl am liebsten den ganzen Ort zu einem Gesamtkunstwerk nach seiner Fasson umkrempeln.
Wer hoch im vorpommerschen Norden, sagen wir in Randow oder Toitz, könnte das rund hundert Kilometer tiefer im mecklenburgischen Süden liegende Godendorf-Papiermühle genau verorten? Als Journalist tut man sich schwer, wenn man erklären will, dass dort der Kreis eine Ortsdurchfahrt ausbessern soll.
Und um Kathrin Grumbachs Ehre zu retten, die Christdemokraten können „Seenplatte“ auch nicht besser, obwohl sie eine viel größere Kreistagsfraktion haben, sogar mit einem Bundestagsabgeordneten. Ausgerechnet der hat kürzlich im Fach „Neue Heimatkunde“ gepatzt. Der Kulturausschuss könne ja nächstens in Demmin tagen, schlug Christoph Poland vor. Oder in Tellow, das liege doch bei Demmin. Nun ja, Nähe ist subjektiv, ganz objektiv aber liegt Tellow mit seinem Thünen-Museum ziemlich weit im neuen Landkreis Rostock.
Der Landkreis: Wie verändern demografischer Wandel und schmalere Budgets die Politik? Mecklenburg-Vorpommern hat 2011 als Lösung die Kreise neu geordnet. „Mecklenburgische Seenplatte“ ist seitdem mit 5.496 Quadratkilometern der größte Landkreis Deutschlands. Kritiker fürchten, dass die Größe Identifikation, kommunale Selbstverwaltung und ehrenamtliches Engagement, die Grundlagen demokratischen Handelns, unmöglich macht.
Die Serie: Die taz begleitet ein Jahr lang den Kreis auf seinem Weg. Mit Reportagen und der wöchentlichen Kolumne „Heimatkunde Seenplatte“.
Macht aber nichts, der kleine Fehlgriff, kann ja vorkommen, wenn Ausschüsse zwecks genauerer Orts- und Sachkenntnis ständig die Tagungsorte wechseln. Im Kreistagsbetrieb wird deshalb schon über den „Wanderzirkus“ gewitzelt. Der zieht jetzt wieder weiter, im Fall des Bau- und Umweltausschusses nach Basedow. Das liegt ungefähr 40 Kilometer südlich von Nossendorf und 60 Kilometer nordwestlich von Godendorf-Papiermühle. Basedow hat ein sehr schönes Renaissance-Schloss und eine sehr unschöne Straße zu seinem Ortsteil Gessin.
„Erbarmungswürdig“, nennt Kathrin Grumbach den Weg, sie kennt dort „jeden Huckel“, denn: „Da hatte ich meinen einzigen Autounfall.“ So wird Kathrin Grumbach im nächsten Bausschuss aus dem Stand sagen können, wo der gerade tagt, und wir sind zuversichtlich, dass auch Christoph Poland seine Geographie noch lernen wird. Mit etwas Glück sogar ohne Unfall.
Leser*innenkommentare
Sonja
Gast
Schönstes Bundesland der Welt. Da gibt es mehr zu berichten als von der braunen Soße!
Falmine
Gast
@ Norbert
Immer weniger Menschen leben dort Ja, aber in völlig anonymisierten Riesenkreisen werden es sicher auch zukünftig nicht mehr! Für ehrenamtlich tätige Kommunalpolitiker/innen ist das praktisch nicht mehr zu handhaben. Das grundgestzlich garantierte Recht der Kommunalen Selbstverwaltung wird dadurch völlig ausgehöhlt. Die Verwaltung macht dann was sie will. Ist aber undemokratisch - so ohne Kontrlle duch gewählte Abgeordnete.
Dabei war MeckPomm doch 19990 das erste Bundesland, glaube ich, das die riesigen DDR-Bezirke abgeschafft und Kreise wieder eingeführt hatte. Also ein Rückschritt zum alten Zentralismus ...
Den Bericht und die Kolumne finde ich als Kommunalpolitikerin sehr interessant. Mehr davon! :-)
Norbert
Gast
wow, nen kommentar über meck-pomm ohne NPD oder Nazis zu erwähnen, dass ich das mal erleben darf.
im übrigen verstehe ich die aufregung nicht, es wohnen immer weniger menschen dort, daher ist es nur ne frage der zeit bis die landkreise zusammengelegt werden. mv hat unter anderem daher nen ausgeglichenen haushalt.
hat die taz irgendein persönliches problem mit meck-pomm???