Lagerung: Ein Abteil, eine Geschichte

Der eine muss raus aus seiner Wohnung, die andere lagert Akten - der Selfstorage-Markt boomt.

Zu viele Akten? Könnte ein Fall für Selfstorage sein. Bild: dapd

Seit drei Monaten stehen seine Pflanzen schon im Dunkeln. Zwischen Holzkommode, Matratze und Bettgestell zieht Thadäus Borowitza einen roten Wäschekorb mit ein paar Blumentöpfen hervor. Jede Woche kommt er hierher, um die Aloe zu gießen. Trotzdem: Die Blätter tendieren wegen des Lichtmangels bereits ins Gelbliche.

Vor drei Monaten musste Borowitza die Wohnung seiner Exfreundin, bei der er vorübergehend gewohnt hatte, verlassen. Seitdem lagern seine Möbel auf vier Quadratmetern beim Selfstorage-Anbieter MyPlace in Friedrichshain. In den vergangenen drei Jahren ist das Angebot an Selfstorage-Anbietern in Berlin stark gewachsen, MyPlace führt mit sieben Filialen den Markt an. Selfstorage bedeutet: Kunden mieten einen Raum und lagern dort ihre Habseligkeiten ein. Tagsüber haben sie normalerweise Zugang zu ihren Sachen.

Die fünf Stockwerke der Friedrichshainer Filiale sind fast identisch: lange Gänge mit Betonboden, weißen Blechwänden und blauen Blechtüren. Aus dieser Perspektive ein ziemlich steriler Ort – aber hinter jeder Tür verbirgt sich eine Geschichte. Die Menschen, die zu ihnen kämen, seien unterschiedlich wie Tag und Nacht, sagt Martina Liedtke, die die Filiale leitet: „Vom Unternehmer bis zum Hartz-IV-Empfänger haben wir alles.“ Viele kämen, weil sie in einer Notsituation seien, sich von ihrem Partner getrennt hätten oder die Wohnung verlassen mussten.

Wie Borowitza, der eines von 720 Abteilen mietet. Wegen seines neunjährigen Sohnes hatte der Glasermeister vor zwei Jahren seinen Job in Augsburg aufgegeben und war nach Berlin gekommen, wo seine Exfreundin mit dem Kind lebt. Die hiesigen Glasereien boten ihm 1.200 bis 1.600 Euro netto, doch für die Hälfte von dem, was er vorher verdient hatte, wollte er nicht arbeiten. Weil es ihm nicht gelang, ohne Lohnnachweis eine eigene Wohnung zu mieten, landete er nach einem Zwischenstopp bei der Ex in einem WG-Zimmer. Für seine Möbel war dort aber kein Platz, er musste sie kurzfristig anderswo unterbringen. 120 Euro zahlt er nun jeden Monat, um sein Hab und Gut auf einer Fläche von 1,16 mal 3,29 Metern zu lagern – umgerechnet ein Quadratmeterpreis von 30 Euro.

Das Prinzip Selfstorage stammt aus den USA. Dort entstand es in den 60er Jahren vor allem in der Nähe von Militärflughäfen, wo Soldaten ihre Sachen zurückließen. Mittlerweile gibt es in den USA 50.000 Selfstorage-Häuser, umgerechnet kommen auf jeden Amerikaner 0,65 Quadratmeter Lagerfläche, weiß Petra Beck, die an der Humboldt-Universität ihre Magisterarbeit zu Selfstorage geschrieben hat. Übertrage man dieses Verhältnis auf Berlin, müssten hier rund 500 Filialen stehen. Von amerikanischen Dimensionen sei man aber hierzulande weit entfernt.

Laut Tobias Kassner vom Immobilien-Marktforschungsunternehmen BulwienGesa hat sich die Selfstorage-Fläche in der Hauptstadt in den vergangenen drei Jahren immerhin mehr als verdoppelt: Gab es im Jahr 2009 noch 46.000 Quadratmeter Lagerfläche, sind es heute schon etwa 93.000. 17 Filialen von acht Anbietern konkurrieren miteinander. Hinzu kommen Speditionen, die ähnliche Leistungen anbieten – das lasse sich allerdings nicht genau beziffern, sagt Kassner.

Dass Selfstorage in Deutschland immer beliebter wird, hängt laut Petra Beck damit zusammen, dass die Menschen mobiler geworden sind, mehr „biografische Einschnitte“ wie Umzüge und Scheidungen erfahren und über ein „Meer an Dingen“ verfügen. „Die Menschen haben Probleme, sich von Dingen zu trennen.“ Martina Liedtke von MyPlace kann das bestätigen: Sie sehe oft Dinge, die sie selbst vermutlich längst weggeworfen hätte, berichtet sie.

Trotz des rasanten Wachstums sehen die Unternehmen weiter Luft nach oben. „Wir wollen für jeden Berliner in 15 Minuten erreichbar sein“, sagt Wolfgang Köhnk, Geschäftsführer von Pickens Selfstorage. Auch die Firma Secur will expandieren. Geschäftsführer Christian Lohmann plant, das Abteilangebot zu verdoppeln. Laut Thekla Liebnitz, Regionalverantwortliche bei MyPlace, gibt es derzeit keine konkreten Pläne für neue Filialen. Potenzial sehe sie aber insbesondere in Wedding nach der Schließung des Flughafens in Tegel.

Laut Liebnitz sind rund 75 Prozent der 5.500 Berliner MyPlace-Abteile belegt, im größten Haus in Friedrichshain sogar mehr als 80 Prozent. Die Lagerhäuser liegen meist an Verkehrsknotenpunkten. Die Friedrichshainer Filiale etwa strategisch günstig auf dem Weg vom Zentrum in die östlichen Wohnbezirke wie Marzahn. Aber auch am Hauptbahnhof wurde kürzlich eine Filiale eröffnet.

Die meisten Einlagerkunden sind Privatleute wie Borowitza, sie mieten etwa drei Viertel aller Abteile. Allerdings finden sich unter den Mietern auch Unternehmen und Gewerbetreibende. Eine davon ist Gaby Kiefer-Baum. Sie lagert als Inhaberin einer Catering-Firma große Töpfe, einen Kaffeeautomaten und andere Küchengeräte ein, die sie selten benutzt. Andere wollten unbedingt eine Adresse am Hackeschen Markt, könnten sich dort aber nur ein kleines Büro leisten, sagt Thekla Liebnitz. Ihre Akten müssten sie deshalb einlagern.

Auch Borowitza überlegt, künftig einen Raum als Lager für seine Arbeit zu nutzen. Sein Traumabteil liegt nur wenige Schritte vom derzeitigen entfernt, ist rund 50 Quadratmeter groß und über eine zwei Meter breite Rolltür zugänglich. Er möchte sich selbstständig machen und Aquarien verkaufen, die sein Vater ihm aus Süddeutschland liefern soll. „Damit verdient man bestimmt mehr Geld als ein Glaser in Berlin“, glaubt er.

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