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Archiv-Artikel

Auf zu neuen Ufern

AN DER SPREE Keine Hochhäuser, breite Uferwege: Das war das Ergebnis des Bürgerentscheids gegen die Vision einer Mediaspree. Nicht überall ist es so gekommen. Dennoch herrscht zwischen Jannowitzbrücke und Elsenbrücke heute eher Vielfalt als Monotonie. Sechs Beispiele

VON UWE RADA

1. Spielwiese am Holzmarkt

Zuletzt gab es Irritationen. „Holzmarkt-Projekt vor dem Aus“, titelte der Tagesspiegel und berichtete, dass der Genossenschaft, die an der Spree ein „urbanes Dorf“, ein Studentenwohnheim und ein IT-Gründerzentrum bauen will, 2,5 Millionen Euro fehlten. Alles nicht so schlimm, beschwichtigten die Kater-Holzig-Leute, die unter anderem hinter dem Projekt stecken. Die Zeitung habe aus einem internen Rundbrief zitiert, in dem es heißt: „Es wird kohletechnisch eng.“ Allerdings sei das Projekt nicht gefährdet, versichert Genossenschaftssprecher Mario Husten. Und Architekt Christian Schöningh ergänzt: „Seit dem Artikel steht das Telefon nicht still. Eine bessere Werbung könnte es nicht geben.“

Im Frühjahr soll es losgehen mit den Bauarbeiten auf dem Gelände der ehemaligen Bar 25. Doch der Holzmarkt, der das Grundstück von der landeseigenen Berliner Stadtreinigung bekommen hatte, weil er mehr bot als ein Mitkonkurrent, hat nicht nur Freunde. „Wenn da ähnlich rigide Einlasskontrollen stattfinden wie an der Bar 25, wird das kein öffentlicher Ort“, sagt eine Aktivistin aus Kreuzberg. Die Genossenschaft verweist dagegen darauf, dass mit dem „Möhrchenpark“ auf dem Gelände ein sehr viel größerer öffentlicher Raum geschaffen würde, als dies im Bebauungsplan vorgesehen war.

■ Fazit: Das Vorzeigeprojekt an der Spree muss halten, was es verspricht

2. Die Spree den Genossen

Es gab Zeiten, da waren sie die Bösen. Diejenigen, die die Strandbar Kiki Blofeld verjagten. Die stattdessen am Spreeufer Wohnungen für den gehobenen Mittelstand bauen wollten. Die übliche Baugruppenszene halt, die unter den Mediaspreegegnern nicht nur Freunde hat. „Inzwischen ist es aber ruhiger geworden“, sagt Christian Schöningh. Der Architekt des Büros „Die Zusammenarbeiter“ ist der Initiator des Spreefeldes, das im Rohbau bereits in die Höhe wächst. „Bei Haus zwei sind wir schon im dritten Obergeschoss“, erzählt er stolz. Spreefeld, das ist etwas für Dialektiker. Auch Schöningh weiß, dass mit dem Ende der Strandbar etwas verloren gegangen ist, das den Charakter der oberen Stadtspree prägte: das Ungeordnete, das Überraschende. Das Wilde auch. Er weiß aber genauso, dass das, was nun kommt, eine Überraschung ist. Eine Genossenschaft baut Mietwohnungen, einen Teil davon sogar zum Preis von 5 Euro pro Quadratmeter. Und dann sollen noch 3.000 der 7.000 Quadratmeter der Grundstücksfläche der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Dass Spreefeld ohne den Widerstand gegen die Mediaspree nicht entstanden wäre, ist Christian Schöningh klar. „Der Bürgerentscheid hat eine neue Kampfeslust freigesetzt“, sagt er. „Plötzlich wollten viele zeigen, dass es auch anders geht.“ Auch neue Ideen hat der 51-Jährige bereits in der Schublade. „Warum gründen wir keine städtische Entwicklungsgesellschaft wie in Adlershof oder am Schlachthof?“ Diese private Gesellschaft würde dann, ausgestattet mit Mitteln des Landes, Grundstücke aufkaufen und entwickeln. Nicht im Sinne einer Mediaspree, sondern im Sinne des Bürgerentscheids.

■ Fazit: Der Strand ist weg, ein Modellprojekt kommt

3. Die Mauer bleibt, Living Bauhaus aber auch

Das nennt man wohl verzockt. Wenn Sascha Disselkamp geglaubt hatte, nicht nur die East Side Gallery retten, sondern ganz nebenbei auch noch den umstrittenen Wohnturm namens Living Bauhaus kippen zu können, dann irrte er. 6.000 Menschen hat der Betreiber des Stage Club mobilisiert. Bei der East Side Gallery war der Protest wohl erfolgreich. Ein Kompromiss könnte verhindern, dass eine 22 Meter lange Lücke in die ehemalige Mauer geschlagen wird. Das Hochhaus jedoch wird kommen. Gerade aber um diesen – architektonisch immerhin aufregenden – Luxusturm war es Franz Schulz gegangen, dem grünen Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg. Ein „Hassobjekt“ nannte er das Bauprojekt. Die Sache mit der East Side Gallery hat ihn nicht gestört. Die war schließlich mit dem Bezirksamt abgestimmt. Dass Schulz sich nun an die Spitze des Protestes stellte, war wohl auch der Hoffnung geschuldet, mit dem Erhalt der Mauer kurzfristig noch das Hochhaus kippen zu können. Auch Franz Schulz hat sich verzockt. Eine tragische Gestalt ist er darum nicht. Hinter dem scheinbar komplizierten Durcheinander am Friedrichshainer Spreeufer steckt ein jahrelanger Konflikt zwischen Bezirk und Senat. Nach dem erfolgreichen Bürgerentscheid überlegte Senatorin Junge-Reyer sogar, dem Bezirk die Planungshoheit zu nehmen. Bedächtig ist Schulz deshalb vorgegangen, aber konsequent. Alle Bauvorhaben hinter der East Side Gallery hat er gekippt. Zwei sind geblieben, darunter das Living Bauhaus. Ist das nun eine Niederlage oder ein Erfolg?

■ Fazit: Eine bloße Freude wird das Wohnen im Living Bauhaus sicher nicht

4. Daimlers Vorstellung von Urbanität

Diesen Satz muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: „Mit einem Mercedes-Benz-Showrooom und einem Bistro wird sich das Quartier dem urbanen Raum öffnen.“ So steht es im „Mercedes-Benz Passion“-Blog. Im Frühjahr wird diese daimlersche Lesart von Urbanität Wirklichkeit. Dann ziehen 1.200 Mitarbeiter des Vertriebs vom Potsdamer Platz in die neue Zentrale an die Spree. Drei Bürohäuser und ein Hochhaus von 55 Metern hat die Firma Vivico für Daimler gebaut – und den Bürgerentscheid ignoriert, der den Verzicht auf Hochhäuser fordert. Die Retourkutsche des Bezirks folgte schon im Dezember. Das Ufer vor der neuen Daimler-Vertriebszentrale benannte die Bezirksverordnetenversammlung nach Edith Kiss, einer jüdischen Zwangsarbeiterin, die von 1944/45 Flugzeugmotoren für Daimler fertigen musste. Der Konzern selbst hatte sich für den Namen Bertha Benz starkgemacht, die Frau des Firmengründers Carl Benz. Westlich des Daimler-Quartiers hat man aus den „urbanen“ Vorstellungen eines Großinvestors allerdings gelernt. So versucht die Post, der das Gelände rings um den ehemaligen Postbahnhof gehört, ihre geplanten Neubauten abzuspecken. Auch sollen die Grundstücke parzelliert werden, um mehr Vielfalt zu bekommen. Das Daimler-Hochhaus wird damit freilich nicht ungeschehen gemacht.

■ Fazit: Daimler sollte beim Bau von Autos bleiben

5. Die Zeit nach Zapf

Vor dem Eingang zu Zapf steht noch immer die Leninbüste. Sie stammt aus einer Zeit, in der sich die Umzugsfirma Kombinat nannte. Aus dem Kombinat wurde mit der Zeit die Zapf Umzüge Aktiengesellschaft. Ein Stück Wandel, ein Stück Kreuzberg.Zu diesem Stück Kreuzberg gehört auch, dass das Zapf-Grundstück schon immer den Zugang zur Spree versperrt hat. Als nach der Wende ein durchgehender Uferweg an der Spree geplant wurde, stellte sich Zapf quer: Ein solcher Weg sei nicht mit der gewerblichen Nutzung vereinbar. Allerdings signalisierte Zapf-Geschäftsführer Peter Zetzsche die Bereitschaft, auf ein anderes Grundstück umzuziehen. Der Umzug soll durch den Grundstücksverkauf finanziert werden. Wer aber wird künftig auf dem Zapf-Grundstück bauen dürfen? Diese Frage beschäftigte die Kreuzberger bereits vor zwei Jahren. Damals hatte Zetzsche einen ersten Entwurf des Architekturbüros Graft für eine Bebauung vorgestellt. Seitdem gehen die Meinungen auseinander: Für die einen würde Riegel die Trennung zwischen Köpenicker Straße und Spree fortsetzen. Andere betonen, dass hier die „Planungsrichtlinien für das Kreuzberger Spreeufer“, die das Bezirksamt nach dem Bürgerentscheid ausgearbeitet hat, endlich umgesetzt werden. Das wäre auch ein Vorbild für die anderen Spree-Grundstücke in Kreuzberg – etwa das Dämmisol-Gelände oder die nördliche Lohmühleninsel.Umstritten ist auch der Uferweg, der an einer Stelle nur zehn Meter breit ist. Wird das ausgeglichen, weil er an anderer Stelle breiter ist? Oder gehören die Freiflächen auf dem Gelände, mit denen der Uferweg zusammenwächst, eher den Bewohnern als den Spaziergängern?

■ Fazit: Hier entsteht ein Stück öffentliche Spree. Oder auch nicht

6. Neue Hochhäuser in Treptow

Ganz schön generös ist diese Firma Agromex. Um den Umzug des historischen Hafens Berlin an den Osthafen zu unterstützen, stiftete das Unternehmen 20.000 Euro. Vielleicht ist Agromex aber einfach nur schlau. Wenn ihre drei Hochhäuser mit einer Höhe zwischen 99 und 110 Metern einmal fertig sind, haben die Eigentümer und Hotelgäste gleich auch einen Hafenblick. Dass zwischen den Twin Towers und der Allianz-Zentrale an der Elsenbrücke Hochhäuser gebaut werden dürfen, hat einen einfachen Grund. Das südliche Spreeufer am Osthafen gehört zum Bezirk Treptow-Köpenick. Der Bürgerentscheid hat dort keine Gültigkeit. Umso größer ist die Sorge der Mieter in den 280 Wohnungen in der Fanny-Zobel-Straße. Sie fürchten eine Preisspirale, wenn die beiden Wohntürme gebaut sind. Im dritten Hochhaus will Agromex ein Hotel unterbringen. Selbst Baustadtrat Rainer Hölmer (SPD) räumt ein: „Wer nicht 10 bis 12 Euro pro Quadratmeter zahlen kann, wird hier perspektivisch keine Chance haben.“ Doch gegen das Vorhaben gibt es auch Widerstand. Die Bürgerinitiative Karla Pappel macht gegen Agromex mobil. Ohne große Hoffnungen. Schließlich ist der Osthafen in den Augen vieler Anrainer nicht mehr umkämpft, sondern bereits an die Investorenarchitektur verloren. Dafür hat auf der Friedrichshainer Seite die Behala gesorgt, immerhin ein Betrieb im Besitz des Landes. Sie hat ihre Grundstücke einfach an die Meistbietenden verkauft.Baustadtrat Hölmer kann dem Vorhaben, an dem zuvor ein Ableger des Carloft-Projekts entstehen sollte, dennoch etwas Gutes abgewinnen. „Was jetzt dort entstehen soll, ist um Klassen besser als alle Planungen vorher.“ Außerdem wird es an der Spree einen zehn Meter breiten Uferstreifen geben.

■ Fazit: Am Osthafen ist ohnehin alles zu spät