: Von der Klinik in die Praxis
Die Nachsorge für psychisch kranke Straftäter und Suchtpatienten soll flächendeckend ausgebaut werden. Landesregierung will außerdem die forensischen Kliniken durch Neubauten entlasten
VON HOLGER PAULER
Der Maßregelvollzug endet für die Patienten auch nach dem Klinikaufenthalt nicht: Psychisch kranke oder suchtkranke Straftäter sollen sich nach der Entlassung aus den Forensischen Kliniken einer Weiterbehandlung unterziehen. „Durch Nachsorge sollen die über Jahre mühsam erfolgten Therapieerfolge abgesichert werden“, sagte Bernhard Wittmann, Abteilungsleiter Maßregelvollzug beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), auf einer Fachtagung am Oberlandgericht Hamm (siehe Interview).
Vor allem die Zusammenarbeit mit den Gerichten, gesetzlichen Betreuern und Bewährungshelfern stand bei der Tagung im Mittelpunkt. Der LWL als landesweit zweitgrößter Träger (siehe Kasten) behandelt an den forensischen Kliniken in Lippstadt-Eickelborn, Marberg-Bilstein und Stemwede-Haldem und der Übergangseinrichtung an der allgemeinen Psychiatrie Rheine derzeit 1.100 Patienten. In Dortmund sollen demnächst 54 Betten hinzukommen.
Jährlich werden im Bereich des LWL etwa 50 Patienten in die Nachsorge entlassen. Dass der Bedarf insgesamt steigt, lässt sich auch an den landesweiten Zahlen der nachbetreuten Patienten ablesen. Während 2003 in NRW noch 55 Patienten nachbetreut wurden, waren es 2004 bereits 79. Die Zahl beträgt für das Jahr 2005 91 Patienten, 2006 wird sie voraussichtlich auf 112 steigen. Bewährungsauflagen sorgen dafür, dass sie bis zu fünf Jahre unter so genannter Führungsaufsicht bleiben. Zu Beginn des kommenden Jahres sollen an den 18 forensischen Fachambulanzen im Bezirk des LWL 90 entlassene Patienten wohnortnah beraten und therapiert werden. Auch Hausbesuche stehen auf dem Plan. „Die ambulante forensische Nachbetreuung hilft auf diese Weise, die allmähliche Wiedereingliederung der Entlassenen buchstäblich kontrolliert zu verbessern und die ehemaligen Patienten zu stabilisieren“, so Wittmann.
Dennoch werden landesweit jährlich etwa doppelt so viele Patienten in den forensischen Kliniken aufgenommen wie entlassen werden. „Die gesetzlichen und medizinischen Voraussetzungen lassen derzeit nicht mehr zu“, sagte Uwe Dönisch-Seidel, Landesbeauftragter für den Maßregelvollzug NRW zur taz. Dadurch würden zwar viele gefährliche Straftäter weiter stationär behandelt, Patienten, die entlassen werden könnten, müssten aber ebenfalls noch in der Klinik bleiben. Immerhin: Die Zahl der Entlassungen ist in den vergangenen fünf Jahren um zehn Prozent gestiegen. „Durch die flächendeckende Nachsorge hoffen wir, die Zahl in den nächsten Jahren verdoppeln zu können“, so Dönisch-Seidel.
Nordrhein-Westfalen ist das einzige Bundesland, das die Nachsorge gesetzlich regelt und hierfür finanzielle Mittel zur Verfügung stellt. Der Bau neuer forensischer Kliniken soll darüber hinaus zu einer Dezentralisierung des Maßregelvollzugs führen. Die neue schwarz-gelbe Landesregierung führt damit das Konzept von Rot-Grün fort. Das bestätigte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) vor einigen Wochen auf eine „Kleine Anfrage“ seiner Vorgängerin Birgit Fischer (SPD) im Düsseldorfer Landtag.
Dezentralisierung und Nachsorge wirken sich auch positiv auf die Rückfallquote aus. Etwa zehn bis 20 Prozent der Sexualstraftäter werden rückfällig. „Im Strafvollzug liegt die Zahl um ein Vielfaches höher“, so Dönisch-Seidel. Die Quote liegt bundesweit zwischen 60 bis 70 Prozent. Gäbe es im Maßregelvollzug keine geregelte Nachsorge, müsste man Schätzungen der Landesregierung zu Folge bei Sexualstraftätern und Suchtpatienten von einer ähnlichen Zahl ausgehen.