DIE PRAKTIKEN DER FLEISCHBRANCHE: "Selbständige" Akkordarbeiter

Opposition in Niedersachsen und im Bund möchte schlechte Arbeitsbedingungen und Missbrauch von Werkverträgen nicht mehr hinnehmen.

Oft nur formal selbständig: Beschäftigte eines Schlachthofs. Bild: dpa

Das Lohndumping in der niedersächsischen Fleischindustrie ist Teil eines umfassenden Problems: dem Missbrauch von Werkverträgen zur Umgehung des Tarifrechts. So sehen es zumindest die Gewerkschaften, die im Rahmen des DGB Anfang Oktober ein Positionspapier dazu veröffentlicht haben. Die Linke im niedersächsischen Landtag und die SPD im Bundestag haben das Thema mit parlamentarischen Initiativen aufgegriffen.

Die Diskussion über die Arbeits- und Lebensbedingungen von Arbeitsmigranten, die mit Werkverträgen ins Land geholt werden, hat in den vergangenen Tagen an Dynamik gewonnen, nachdem der Prälat von Vechta, Peter Kossen, die Zustände von der Kanzel herab gegeißelt hatte. Nach seiner letzten Predigt lag ein Kaninchenfell samt Kopf vor seiner Haustür.

Kossen hatte die Frage gestellt, wie es denn zu rechtfertigen sei, dass osteuropäische Arbeiter nur die Hälfte oder ein Drittel des Lohns ihrer deutschen Kollegen bekämen. Möglich wird das nach Einschätzung der Gewerkschaften dadurch, dass die Schlachtbetriebe ihre Arbeit an Sub- oder Sub-Sub-Unternehmen vergeben, die die Arbeiter wiederum als Selbständige oder Honorarkräfte beschäftigen.

In diesem Fall müssten die Leute mit eigenem Werkzeug und eigener Verantwortung ihr Werk abliefern, sagt Karin Vladimirov von der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG). Das sei aber in vielen Fällen – gerade in den Schlachthöfen – eine Fiktion. „Die kriegen den Auftrag, die Tiere nach einem Schnittmuster zu zerlegen“, sagt Vladimirov. Häufig seien die Beschäftigen nur formal unabhängig, tatsächlich jedoch unter der Fuchtel eines „Arbeitgebers“.

Nach einer Umfrage der NGG unter 400 Betriebsräten im Frühjahr sind 13 Prozent der Beschäftigten in der Ernährungswirtschaft Leih- oder Werkvertragsarbeitnehmer. Die Werksverträgler verdienten im Schnitt sechs Euro weniger als die Stammbelegschaft. Auf Schlachthöfen stellten sie bis zu 90 Prozent der Mitarbeiter.

„Das ist hier gang und gäbe“, bestätigt Clemens Olberding, der Landesvorsitzende des Katholischen Arbeitnehmer-Bundes (KAB). Auch der KAB habe sich in den Betrieben umgehört und versuche das jetzt aufzuarbeiten.

Seine Kollegen vom DGB verlangen, „’echte‘ Werkverträge von Umgehungswerkverträgen abzugrenzen“. Außerdem müsse verhindert werden, dass sich Subunternehmen einschalteten, die nichts weiter tun, als den Auftrag weiter zu reichen. Die SPD im Bundestag fordert einen Mindestlohn von 8,50 Euro.

Die Linksfraktion im Landtag beantragte eine Bundesratsinitiative, um den Missbrauch von Werkverträgen zu verhindern. Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel, verlangte die CDU-FDP-Landesregierung müsse die Fleischbranche schärfer kontrollieren. „Die billigen Preise an der Fleischtheke sind nur möglich, weil wir in Deutschland zu einem Billiglohnland verkommen sind“, schimpft Michael Hettwer vom „Landesnetzwerk Bauernhöfe statt Agrarfabriken“. Was sich in den Betrieben abspiele, sei „Sklavenarbeit“. Der Verband der Fleischwirtschaft äußerte sich auf mehrmalige Anfrage hin nicht.

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