Zu wenige Plätze: Schlafplatz für eine Nacht

Das Winternotprogramm für Obdachlose in Hamburg ist hoffnungslos überlaufen. In der Schlange stehen vor allem Arbeitssuchende aus Osteuropa.

Anstehen für ein Dach überm Kopf: Schlange an der Spaldingstraße bei einer Unterkunft des Hamburger Winternotprogramms. Bild: Mauricio Bustamante

HAMBURG taz | In einem alten Bürohochhaus in der Spaldingstraße 1, zehn Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt, liegt die Hauptunterkunft des Hamburger „Winternotprogramms“ für Obdachlose. Es ist 17.15 Uhr, das Thermometer zeigt fünf Grad. Etwa 20 Menschen stehen in der Schlange und warten auf einen Schlafplatz. Es sind Männer, Frauen und Paare im Alter von Mitte 20 bis Mitte 40. Der Einlass beginnt jeden Tag um 17 Uhr.

„In Hamburg muss niemand auf der Straße schlafen“, hat der Senat versprochen. Aber stimmt das auch? Drinnen in dem hell erleuchteten Vorraum sieht man Security, vier Männer und zwei Frauen, sie tragen weiße Einweghandschuhe, tasten Körper ab und durchsuchen Taschen.

Mir wird schon nach 15 Minuten Stillstehen kalt. Die anderen in der Schlange scheinen geduldig, unterhalten sich in Sprachen, die ich nicht verstehe. Einer hat eine Flasche Rum in der Hand, ist betrunken, wird laut.

Sozialverbände schätzen, dass in Hamburg heute 1.500 Menschen auf der Straße leben.

Das Notprogramm für den kommenden Winter startete die Hamburger Sozialbehörde mit 252 Schlafplätzen, 160 davon in Innenstadtnähe. Bereits jetzt musste sie hier um 60 Plätze aufstocken. 92 weitere Plätze gibt es in Wohncontainern bei den Kirchengemeinden.

Die derzeit rund 8.500 Plätze in den Wohnunterkünften des städtischen Trägers "Fördern und Wohnen" sind völlig überfüllt. 2001 waren es noch 20.500 Plätze, bis Ende März sollen sie auf 9.500 aufgestockt werden.

Die Anlaufstelle für osteuropäische Obdachlose berät seit 2011 EU-BürgerInnen und organisiert die Rückkehr in das Heimatland, sollten die Betroffenen in Hamburg keine "Lebensperspektive" haben.

Im vergangenen Winter beriet die Anlaufstelle nach Angaben der Behörde insgesamt 451 Obdachlose. 185 Menschen sei "geholfen" worden, in ihr jeweiliges Heimatland zurückzukehren, hieß es.

Der Träger der öffentlichen Unterkünfte der Stadt Hamburg, das Unternehmen „Fördern und Wohnen“, hat Zahlen, wonach das Winternotprogramm zu 95 Prozent von osteuropäischen Arbeitssuchenden genutzt wird. „Das war eigentlich nicht so gedacht“, sagt Geschäftsführer Rembert Vaerst. Nach dem Willen des Senats sollte die Unterkunft Obdachlosen einen „Erfrierungsschutz“ bieten, die „in Hamburg eine Lebensperspektive haben“.

Seit Mai 2011 dürfen Arbeitsuchende aus Osteuropa nach Deutschland einreisen, für Bulgaren und Rumänen gelten Sonderbestimmungen: Die Arbeitsagentur muss ihre Beschäftigung genehmigen, sie können aber ein Gewerbe gründen. Oft werden sie so in die Scheinselbstständigkeit gedrängt und müssen für Löhne arbeiten, die zum Leben nicht reichen. 2011 kamen aus Polen 5.000 Menschen nach Hamburg, aus Rumänien 1.500 und aus Bulgarien 2.000.

Der Senat hat für Arbeitssuchende aus Osteuropa eine Anlaufstelle eingerichtet, um sie „gezielt zu beraten“ – Kritiker sagen: um sie zur Rückkehr in die Heimat zu bewegen (taz berichtete). Andreas Stasiewicz, der Leiter der Beratungsstelle, sieht das Problem vor allem in Billiglöhnen und der Schwarzarbeit. „Ausbeutung produziert Wohnungslosigkeit“, sagt er. „Wenn jemand, der in seiner Heimat 120 Euro verdient, hier 500 Euro bekommt, ist der glücklich. Er vergisst aber, das er von diesem Geld auch hier leben muss.“

17.45 Uhr, ich stehe immer noch vor der Tür der Unterkunft in der Spaldingstraße. Ein Security-Mann kommt raus und verkündet das Ende des Einlasses: „Um 22 Uhr könnt ihr wiederkommen.“ Um 22 Uhr werden sie in den Warteraum gelassen, dort dürfen sie auf Stühlen schlafen.

Die Leute vorne fangen an mit dem Mann zu diskutieren. Offenbar versteht man sich nicht. Er versucht es noch mit Handzeichen, dann schließt sich die Tür wieder. Keiner geht, alle bleiben stehen, als würde es gleich weitergehen.

Schlafplatz besetzt

Die Schlafplätze werden nach einem System vergeben: Zuerst kommen die dran, die schon letzte Nacht einen Schlafplatz hatten, dann die anderen. So ist es möglich, einen festen Schlafplatz im Winternotprogramm zu haben – solange man sein Bett keine Nacht leer lässt. Von den 230 Plätzen werden täglich nur 10 bis 20 wieder frei.

Bis morgens um 9 Uhr müssen alle das Gebäude verlassen haben. Das soll „Struktur ins Leben bringen“, wie Geschäftsführer Rembert Vaerst erklärt. Für den warmen Platz am Tage gebe es andere Anlaufstellen, sagt Vaerst. Zum Beispiel das Herz As, eine Tagesstätte. Das liegt um die Ecke, ist aber so überlaufen, dass sie bereits am Mittag die Türen schließt. Samstag und Sonntag ist es gar nicht geöffnet. Für ein auskömmliches Angebot an Schlafplätzen sorgen, will die Stadt nicht. Und auch Vaerst glaubt, das ein größeres Angebot auch die Nachfrage steigen lässt: „Wir könnten hier alle Stockwerke aufmachen und sie wären voll.“

Ich mache mich auf den Weg in die Hamburger Neustadt. Dort gibt es das Pik As, eine weitere Einrichtung für obdachlose Männer mit 190 Plätzen. Als ich um die Ecke in den Hof einbiege, kommt mir ein betrunkener Mann mit langen Haaren und Cowboyhut entgegen. Ich frage ihn, wie es denn drinnen aussieht. „Stress“, sagt er. – „Und, ist noch was frei?“ Er winkt ab und geht weiter.

Ich gehe rein, vorbei an dem Pförtner, der den Summer bedient. Ich muss nichts sagen – die Tür geht auf. Ich betrete einen Vorraum, links ein Wagen mit schmutziger Bettwäsche, dahinter ein Kaffeeautomat. Rechts ein Tresen, auf dem ein Karton mit Teebeuteln steht, daneben Plastikbecher und eine Plastikbox mit trockenen Graubrotscheiben. Auf einem Schild steht „Aufnahme“.

Ein alter Mann wartet mit einem leeren Plastikbecher in der Hand. Im Gang läuft ein anderer, hagerer, mit leerem Blick auf und ab und brabbelt vor sich hin. Dann kommt der Pförtner aus seiner Loge. Der alte Mann fragt ihn nach Kochsalz. Sein Gegenüber zieht die Augenbrauen zusammen, schüttelt den Kopf: „Kochsalz?? Nee!“

Dann wendet er sich mir zu: „Ja?“ – „Habt ihr noch was zum Schlafen?“ – „Nee, vielleicht in der Spaldingstraße.“ – „Aber Spaldingstraße ist ja auch voll“, sage ich.

Kopf auf dem Tisch

Bleibt nur der Aufenthaltsraum im Pik As, der total überfüllt ist. Dort stinkt es beißend. Der Fernseher flimmert in die Gesichter der Männer, die an den Tischen sitzen. Außer den Menschen im Fernseher redet niemand, ein paar Sitzplätze sind noch frei. Einige haben ihren Kopf auf den Tisch gelegt und schlafen. In einer Ecke liegen welche in ihren Schlafsäcken.

Zwei Männer rauchen vor der Tür, sie sind Stammgäste und haben ein Bett. Der eine sogar ein Einzelzimmer, das eigentlich seiner Freundin gehört, die aber gerade im Krankenhaus ist. Er fragt mich, ob ich nicht weiß, wo ich schlafen soll. „Hast du Geld?“ Ich zögere. „Für zehn Euro kannst du in meinem Zimmer pennen.“

Das Pik As soll nachts so überlaufen sein, dass die Leute auch im Vorraum und auf den Gängen schlafen. 300 Menschen übernachten dort, bei 190 Plätzen. „Die Zustände sind katastrophal“, sagt ein Sozialarbeiter. Die Stadt Hamburg hat erklärt, bis Ende März rund 1.000 neue Plätze in der öffentlichen Unterbringung schaffen zu wollen.

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