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Archiv-Artikel

Totgesagte leben länger

AUFERSTEHUNG Der FC Barcelona zeigt es allen Kritikern und fegt den AC Mailand in einem epischen Spiel mit 4:0 vom Platz. Von Krise redet jetzt keiner mehr in Katalonien

AUS BARCELONA RALF ITZEL

Andres Iniesta ist ein schmalschultriger, schüchterner Bursche, der keiner Fliege etwas zuleide tut. Nach diesem Coup aber kam selbst er aus seiner blassen Haut heraus und mimte den Muskelprotz. Als die Kamera sich nach dem Schlusspfiff annäherte, mobilisierte der Mittelfeldspieler lächelnd die letzten Kräfte und ballte triumphierend seine kleinen Fäuste.

0:2 hatten Iniesta und der FC Barcelona neulich beim AC Mailand verloren, seit zwanzig Jahren war keinem Klub in der Champions League nach so einem Rückstand die Wende gelungen. Weil der Schlappe in Italien zwei weitere in Spanien gegen Real Madrid folgten, waren Zweifel laut geworden an diesem Barça, das seit viereinhalb Jahren die Sportfreunde weltweit verzaubert und Titel um Titel einsackt. Schadenfrohe sahen das Ende einer Ära gekommen.

Und dann das! Das totgesagte Barça fegte quicklebendig wie ein Wirbelwind den großen AC Mailand vom Rasen des Nou-Camp-Stadions und siegte 4:0. Lionel Messi zettelte die Aufholjagd an und erzielte zwei schnelle Tore, ein Präzisionsschuss und ein Peitschenhieb. Die spanischen Nationalspieler David Villa und Jordi Alba vollendeten den furiosen Auftritt. „Wir haben am Limit gespielt“, sagte Iniesta und widmete den Triumph dem kranken Trainer. Tito Vilanova muss sich derzeit wegen eines Krebsleidens in New York behandeln lassen, in zehn Tagen kehrt er nach Barcelona zurück. „Wir wollten dafür sorgen, dass wir uns unter den bestmöglichen Umständen wiedersehen“, sagte Iniesta, „er steckt in einer schwierigen Situation, jetzt kann er etwas Schönes genießen.“ Zwei Stunden vorm Anpfiff hatte Pep Guardiolas Nachfolger noch mal mit den Fußballern telefoniert, darunter Iniesta: „Tito ist eine Person mit großer innerer Stärke und viel Vertrauen in uns, das hat er mir vermittelt.“

In Videokonferenzen mit seinem Assistenten Jordi Roura hatte Vilanova in den Tagen zuvor an Taktik und Aufstellung getüftelt. Kapitän Puyol blieb auf der Bank, statt mit Viererkette verteidigten die Katalanen mit einer Dreierabwehr. So schafften sie Überzahl im Mittelfeld, vor allem auf den Seiten. Und vorne stand als echte Spitze Villa, der die Mailänder Innenverteidiger beschäftigte und so Räume für Messi öffnete.

Endlich fand der Kreiselfußball wieder in Reinform statt. Ein mutiges Barça kreierte Chance um Chance. An der Ehre gepackt, zeigten alle Bestform, vor allem das Mittelfeld mit Busquets, Xavi, Iniesta und Messi. „Unsere Spieler haben überzogene Kritik abgekommen“, sagte Jordi Roura, „dies war ein Befreiungsschlag.“ Auch für ihn selbst, nach den Rückschlägen hatten viele dem kräftigen Mann mit dem enormen Kinn das Format abgesprochen. Auch Gästetrainer Allegri blieb nichts anderes übrig, als sich vor dem Gegner zu verneigen: „Barça ist weiter die beste Mannschaft der Welt, wir müssen noch reifen.“

Der 18-jährige Franzose Niang hatte die beste Chance der Italiener, nach einem Konter setzte er den Ball freistehend an den Pfosten. Aber selbst ein 1:1-Ausgleich hätte diese Katalanen wohl nicht stoppen können. Die Weltpresse huldigte gestern den siegreichen Profis: „Was für eine Nacht“, schrieb El Mundo Deportivo, „göttlich“ L’Equipe. Barça-Sportdirektor Andoni Zubizarreta witterte Historisches („Noch in vielen Jahren werden wir sagen: Ich war dabei“) und Angreifer David Villa vergaß die Qualen langer Verletzungen: „So ein Abend radiert alle schlechten Tage aus.“

Bei so viel Euphorie sah sich Roura kurz nach Mitternacht sogar genötigt, zu Vorsicht zu mahnen vor der Auslosung der Viertelfinals am Freitag: „Jetzt wird man sagen, dass wir die Favoriten sind, aber das glaube ich nicht. Wir waren weder vorher so schlecht, noch sind wir jetzt so gut.“ Und auch Andres Iniesta fand kurz vor ein Uhr wieder zu sich selbst: „Das alles sollte uns eine Lehre sein“, sagte er, „so einen Auftritt wie in Mailand können wir uns nicht noch mal erlauben.“ Die Hände steckten da schon wieder brav in den Hosentaschen.