: Ausweitung der Grauzone
Neue Erkenntnisse über seine Arbeit für die Stasi bringen den designierten NDR-Sportchef Hagen Boßdorf in Bedrängnis. Hat er seinen Sender belogen? Der NDR prüft den Fall und schweigt bislang
VON THOMAS PURSCHKE
Es sieht derzeit nicht besonders gut aus für Hagen Boßdorf. Eigentlich sollte der derzeitige ARD-Sportkoordinator im kommenden Jahr Nachfolger von Gerhard Delling als NDR-Sportchef werden. Doch seit dem Wochenende mehren sich die Hinweise, dass Boßdorf offenbar doch enger mit der Stasi zusammengearbeitet hat, als er bisher zugeben wollte.
In der Leipziger Birthler-Behörde kürzlich aufgefundene Stasi-Akten deuten auf eine aktive IM-Tätigkeit Boßdorfs für die Auslandsspionageabteilung Hauptverwaltung Aufklärung (HVA). Während seines Journalistikstudiums in Leipzig soll er Kontakt zu einer Gruppe von Studenten gehabt haben, offenbar, um sie für eine Stasi-Arbeit anzuwerben. Sein IM-Deckname lautete „Florian Werfer“.
Dessen Auftrag im Jahr 1988 war laut Stasi-Unterlagen, „die negativen Kräfte der Gruppe zu identifizieren und gleichzeitig zum positiven Kern den Kontakt herzustellen“. Er sei „in der Lage, über fachspezifische Dinge den Kontakt auszubauen, und ist bereit, offen und ehrlich über den Stand und Charakter dieser Bekanntschaften zu berichten“. In den Akten der Leipziger HVA-Dependance befinden sich auch zahlreiche Abschriften von Briefen einer Göttinger Studentin an Boßdorf, die sich offensichtlich in ihn verliebt hatte. Boßdorf mimte augenscheinlich den Stasi-Romeo und lieferte der Spionage durchaus wertvolle Informationen.
Weiter heißt es in den Dokumenten: „Es kann eingeschätzt werden, dass er dabei mit Interesse und Zielstrebigkeit die Aufgabe erledigt und sich in seinem Gesamtauftreten dadurch die Bindung zum MfS und dessen Aufgaben vertieft. Durch Disziplin bei der Treffdurchführung wurde eine effektive Zusammenarbeit möglich.“
Boßdorfs Haussender NDR sah zunächst keinen Grund zum Handeln. Nach allen dem Sender bisher vorliegenden Informationen habe Boßdorf keine Verpflichtungserklärung als Stasi-IM unterschrieben, hieß es am Freitag noch. Zudem habe er keine DDR-Bürger belastet. Jochen Schmidt, stellvertretender Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen von Mecklenburg-Vorpommern, sagt dazu: „Diese Interpretation ist grotesk, als mache es einen Unterschied, ob es sich um Ost- oder West-Deutsche gehandelt habe, die von der Stasi bespitzelt wurden.“
Am Montag schließlich teilte der NDR etwas patzig mit, dass man den Fall nicht abschließend bewerten könne, da die Birthler-Behörde wohl nicht dieselben Unterlagen an den Sender verschickt habe wie an „ausgewählte Journalisten“. Dem Sender lägen lediglich 36 Seiten der Unterlagen vor, damit befinde man sich auf dem Stand von 2002 – dem Jahr, in dem Boßdorf schon einmal wegen seiner Stasi-Kontakte in die Kritik geraten war. Bisher zählt für den NDR, dass Boßdorf „seit 13 Jahren in verschiedenen Funktionen erfolgreich für die ARD tätig“ ist.
Dazu Schmidt: „Der NDR hat sich bisher in vorbildlicher Form und mit klaren Maßstäben der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit angenommen. Dies gilt sowohl für personalrechtliche als auch für den redaktionellen Umgang mit dem Thema Stasi. Wenn die Sendeanstalt glaubwürdig bleiben will, müssen diese klaren Maßstäbe jetzt auch auf Boßdorf angewendet werden.“
Laut Welt soll zumindest der NDR-Verwaltungsrat in seiner Sitzung am 28.Oktober 2005, als er auf Vorschlag von Intendant Jobst Plog der Ernennung von Boßdorf zum künftigen Sportchef zustimmte, nicht über die neuen Aktenfunde der Birthler-Behörde informiert worden sein.
Der Birthler-Sprecher Christian Booß erklärte derweil am Montag, „alle wesentlichen Erkenntnisse“ hätten dem NDR am 26. Oktober vorgelegen. Es seien keine wesentlichen Unterlagen vorenthalten worden. Im Tagesspiegel sagte Booß dazu, dass keine schriftliche Verpflichtung Boßdorfs vorliege, deren Bedeutung werde „oft übertrieben“. „Sie war damals für eine Stasi-Mitarbeit auch nicht erforderlich. Zum Teil wurde dies auch per Handschlag erledigt.“
Boßdorf selbst hat sich bis zum Montagmittag nicht zu dem Fall geäußert. Bisher hatte er dem NDR versichert, dass sich seine Kontakte zur Stasi auf die bereits bekannten Fakten beschränkten. Der Sender wird nun genau prüfen müssen, ob das korrekt war. „Zunächst gilt die Unschuldsvermutung. Wenn sich die neuen Erkenntnisse aber bestätigen sollten, ist Herr Boßdorf wortbrüchig geworden. Ich kann mir zumindest nicht vorstellen, dass jemand so eine Tätigkeit verdrängen kann“, sagte Karl-Heinz Kutz, stellvertretender Vorsitzender des NDR-Rundfunkrats gestern der taz. Für Boßdorf hätte das mit großer Sicherheit massive Konsequenzen. Kutz: „Ein Anstellungsverhältnis wäre in dieser Position dann sicher nicht mehr begründet.“