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Archiv-Artikel

Junta-Kumpel löst Hitlerjunge ab

KIRCHE Dem neuen Papst Franziskus wird vieles nachgesagt: Hoffnungsträger für die Schwachen, Hetzer gegen Homosexuelle, Opportunist mit dubioser Vergangenheit. Aber wird er irgendetwas ändern? Und muss er das?

KOMMENTAR VON DENIZ YÜCEL

Der neue Papst ist, den bislang vorliegenden Informationen nach zu urteilen, ein reaktionärer alter Sack wie sein Vorgänger. Der war seinerseits einem reaktionären alten Sack gefolgt, der wiederum einen reaktionären alten Sack beerbt hatte. Alter Sack I. folgte Alter Sack II., Alter Sack II. aber folgte Alter Sack III. – in einem fort, jahrein, jahraus.

Ob dieser oder jene alte Sack eine Schwäche für die Schwachen („katholische Soziallehre“) hatte oder sich mit esoterischem Klimbim („katholische Dogmatik“) beschäftigte, ist so relevant wie die Frage, ob er nebenher Briefmarken sammelte oder lieber doch Schmetterlinge.

Der neue alte Sack, der künftig unter dem Künstlernamen Franziskus auftreten wird, hat, so ist zu vernehmen, als er noch Jorge Bergoglio hieß und Erzbischof von Buenos Aires war, gegen die Ehe von Lesben und Schwulen („Plan des Teufels“) und das Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare („Kindesmissbrauch“) gekämpft. Noch früher soll er als Leiter der argentinischen Jesuiten ein enges Verhältnis zur Militärjunta unterhalten und Gegner des Regimes denunziert haben.

Aber ist das so verwunderlich? Und was hat man denn erwartet? Einen gut aussehenden schwulen Afrikaner, der George Bataille, Simone de Beauvoir und die Situationisten verehrt, der den Islam, das Judentum oder die Lehren eines Bettelmönchs aus dem Anhaltischen für ebenbürtige Wege zu Gott hält, der den päpstlichen Anspruch auf Führung („Petrus-Primat“) und Unfehlbarkeit („Ich hab recht, du nicht“) sausen lässt und sich nach der Sonntagsmesse mit einem Joint entspannt?

Ungefähr das haben sich tatsächlich viele gewünscht, gerade auch sich irgendwie links wähnende Leute, denen die katholische Kirche eigentlich herzlich egal oder reichlich suspekt ist. Die Vorstellung aber, ein Hungerleider aus der Dritten Welt könnte Papst werden, fand man in diesen Kreisen total süß (weil nicht „eurozentristisch“). Zugleich hegte man die putzige Hoffnung, der neue Papst würde den Zölibat abschaffen, gleichgeschlechtliche Ehen gestatten, Frauen das Priesteramt erlauben, die Sache mit der unbefleckten Empfängnis überdenken, das gemeinsame Abendmahl mit Hinz und Kunz zulassen, Abtreibung in Maßen billigen, die Band Pussy Riot zu einem Auftritt im Petersdom einladen und überhaupt unter den Soutanen den Muff von 2.000 Jahren lüften.

Doch selbstverständlich wird der neue alte Sack nichts von alledem tun. Und er muss es auch nicht. Schließlich steht er keiner Bruderschaft in Südholland vor, sondern der einen heiligen, katholischen und apostolischen Kirche, einem Verein, der es schafft, einen rauchenden Schornstein als globale Fernsehshow zu inszenieren, der aber auch, nun ja, seine Macken hat. Aber von den meisten dieser Macken kann sich der Katholizismus nur zum Preis der Selbstaufgabe lösen. Der Zölibat etwa ist untrennbar mit dem Sakrament der Beichte verbunden. Ein Beichtvater aber, der selbst dem Heiratsmarkt zur Verfügung steht, ist keiner. Und ohne Beichte ist irgendwas anderes zu haben, aber kein Katholizismus.

Trotzdem können sich die katholische Kirche und ihre Anhänger unter Berufung auf ihre Macken nicht alles erlauben. So müssen sie Kritik und Spott ertragen, dürfen Delinquenten nicht mal eben auf den Scheiterhaufen schicken, können Frauen, die ein selbstbestimmtes Leben wollen, nicht mit dem Exorzisten auf die Pelle rücken und müssen es hinnehmen, dass nicht sie die Gesetze machen.

All das aber hat die katholische Kirche – lange genug hat es gedauert und blutig genug waren die Kämpfe, die hierum ausgefochten wurden – mehr oder weniger kapiert, sogar besser als so manche Konkurrenz. Jedes über ein solches Mindestmaß an gutem Benehmen hinausgehende liberale Wohlverhalten aber darf man von ihr nicht erwarten. Sie hat ein Recht auf ihre alten Säcke und schrulligen Rituale und lustigen Kostüme, auf all ihr Heiapopeia. Und sie hat ein Recht auf ihre Dogmen, solange sie diese niemandem aufzwingt.

Den Rest regelt der Markt. Wer unbedingt den Leib Christi aus der Hand einer Frau empfangen will (und darin nicht wirklich den Leib Christi sieht), findet genügend andere Angebote. Und wer partout nicht auf die barocke Show in Rom verzichten und darum katholisch bleiben und trotzdem als Schwuler oder Lesbe leben will, kann auch dies im Schoße der katholischen Kirche tun. Denn im Gegensatz zu den protestantischen Tugendeiferern („Gewissen“) haben die Katholiken seit 2.000 Jahren Erfahrung darin, den lieben Gott einen guten Mann (laut Kristina Schröder auch ein gutes Dingsbums) und den Papst einen alten Sack sein zu lassen und sich den Freuden des Lebens hinzugeben.