Alles im Plan

POP Laing besitzen, was anderen Bands so häufig fehlt: Glamour. Nach ihrem Hitparadenerfolg „Morgens immer müde“ haben die Berlinerinnen mit „Paradies Naiv“ nun ihr Debütalbum vorgelegt

VON THOMAS WINKLER

Nicola Rost hatte einen Plan. Und den hat sie in den letzten sechs Jahren konsequent verfolgt. Sie hat eine Band gegründet, die Laing genannt und Kostüme für sie entworfen. Sie hat Songs geschrieben, die aufgenommen und in ein modisches Klangewand gesteckt. Sie ist mit ihrer Band losgefahren, ist in den kleinsten Clubs aufgetreten und in den größten Fernsehsendungen. Nun ist sie auf dem besten Wege, ihr Ziel zu erreichen. Nicola Rosts Plan, so scheint es, geht auf. Laing werden Popstars.

Das glaubt zumindest schon mal das eine oder andere Musikmagazin, das das Quartett anlässlich des Erscheinens seines ersten Albums „Paradies Naiv“ jetzt auf den Titel gehoben hat. Dort, auf den Titelseiten, machen sich Laing ganz hervorragend. Denn Rost hat eine komplette Popband entworfen, deren Auftreten und visuelle Erscheinung nicht wesentlich weniger wichtig sind als die Lieder.

Als Rost ihr Projekt 2007 begründete, bestand die Band zuerst aus ihr und ihrem Computer. Schon ein Jahr später outete sich ein gewisser Peter Fox als Fan: In den Linernotes seines Albums „Stadtaffe“ empfahl der Seeed-Chef prophetisch: „Checkt Miss Platnum, Laing und andere.“ Doch noch waren Laing nicht vollendet. Während sie noch in Potsdam Politologie studierte, rekrutierte Rost die Choreografin Marisa Akeny und die beiden Background-Sängerinnen Johanna Marshall und Atina Tabiei Razligh. Sie schrieb die Songs, entwarf ein Klangbild zwischen Techno und Neuer deutscher Welle und gleich dazu die immer wieder wechselnden, bisweilen sehr aufwendigen Kostüme, die schon mal von Rosts Mutter gestrickt werden. Die tragen die vier Frauen nun auf der Bühne und tanzen die von Rost und Akeny entworfenen Choreografien, nur unterstützt von einem Schlagzeuger. Das erinnert nicht nur an die klassischen Girl-Groups aus den sechziger Jahren, es sieht vor allem gut aus.

Die heimlichen Gewinner

So gut, dass Laing im vergangenen Herbst beim Bundesvision Song Contest eine Überraschung gelang. Dort traten sie für Sachsen an, weil Akeny aus Dresden stammt, und wurden prompt auf den zweiten Platz gewählt, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt außerhalb von Berlin noch weitgehend unbekannt waren. Nur das ungleich prominentere Duo Xavier Naidoo und Kool Savas konnte sich vor ihnen platzieren, aber Laing waren, wie nicht nur die Süddeutsche Zeitung befand, „die heimlichen Gewinner“ des von Stefan Raab organisierten Popwettbewerbs.

Der Song, den sie damals sangen, ihre Version von Trude Herrs altem Schlager „Morgens bin ich immer müde“, war zwar bereits ein halbes Jahr zuvor erschienen auf Laings erster Veröffentlichung, einem Minialbum mit dem Titel „030/577 07 886“. Aber nach der Sendung stieg „Morgens immer müde“ plötzlich bis in die deutschen Top Ten. Fortan füllten Laing nicht nur das Kreuzberger Lido, sondern auch die nicht ganz so kleinen Hallen in anderen Städten.

Dort staunt das Publikum vor allem über den Glamour, den die vier Frauen dank ihres Gesamtkonzeptes entwickeln. Der mag von langer Hand geplant sein, aber es nicht von der Hand zu weisen: Laing besitzen ihn. Der Glamour ist allerdings auch eine Eigenschaft, die im deutschen Musikgeschäft immer noch allzu exotisch ist – und hierzulande, wo das Authentische so hoch im Kurs steht, dass man sogar Casting-Shows diese Qualität zuschreibt, bisweilen auch noch scheel angesehen wird.

Wohl deshalb erzählt die 27-jährige Rost in Interviews, dass sie mit Laing eine Balance zwischen Glamour und Trash zu finden versucht. Tatsächlich funktionieren die Songs auf „Paradies Naiv“ hervorragend als glatter Radiopop, weil nicht nur die Stimmen prima harmonieren, sondern auch weil die Beats vom modernen Dancefloor stammen und die Synthesizer trotzdem so hysterisch piepsen wie in den aktuell immer noch ein Revival erlebenden achtziger Jahren.

Mit ihren Texten aber setzt Rost, die Tucholsky, Schwitters und vor allem Kästner als Einflüsse angibt, ein Gegengewicht: In denen bedient sie sich, obwohl sie in Mannheim geboren wurde und erst als Zehnjährige mit der Familie nach Berlin umzog, jener schnoddrigen Berliner Schnauze, wie sie eine Trude Herr in den deutschen Pop einbrachte.

Raus aus der Kitschfalle

Gleich im Eröffnungssong verspricht sie dem Mann, der sie verlassen hat: „Ich mach dich kalt.“ Immer wieder bricht sie mit den Schlagerklischees, die sie ebenso liebevoll zitiert wie den Maschinensymbolismus von Kraftwerk. Manchmal braucht es nur ein einziges Wort, damit ein eher süßliches Liebeslied wie „Mit Zucker“ aus der Kitschfalle entkommt: „Ich weiß, wie du beim Ficken klingst“, singt Rost dann. Aber so eine Zeile ist nicht mehr Provokation, sondern nur Ausdruck dessen, dass sie ihre Texte aus einer ähnlichen Position formuliert wie die Kollegin Mieze von Mia., mit denen Laing schon auf Tour unterwegs waren. Beide pflegen einen zwar nicht theoretisch hinterfragten, aber selbstbewussten und vor allem selbstverständlichen Feminismus, der mit Figuren wie Lady Gaga oder Rihanna ja auch die internationalen Charts dominiert.

Erst zum Abschied, in „Tagesschau“, dem letzten Song auf „Paradies Naiv“, werden dann doch noch das Private und das Politische, der Alltag und das große Ganze miteinander verschränkt. „Sie haben ein Schaf geklont, als ich mich von Peter trennte“, singt Rost, und weiter: „Ich trug die Haare kurz und Kohl ging in Rente.“ Nur fünfzehn Jahre nach der Abwahl des ewigen Helmut ist die Zeit wohl endlich reif für Laing. Der Popstar-Plan könnte aufgehen.

■ Laing: „Paradies Naiv“ (Island/ Universal), live bei der aktuellen Tour am 26. 4. im Huxleys