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Archiv-Artikel

Geheim auch daheim

Nicht nur Washington schweigt über die CIA-Praktiken, auch die Berliner Regierung zögert bei der Aufklärung

Merkels Regierung besitzt „derzeit keine Berichte“. Schily hat man, leider, leider, noch nicht erreicht

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Man kann von der amerikanischen Regierung samt ihrem Geheimdienst CIA halten, was man will, aber vom schmierigen Geschäft der Counter-Propaganda versteht sie einiges. Nur einen Tag vor dem heiklen Europa-Besuch der US-Außenministerin Condoleezza Rice streuen hochrangige Geheimdienst- und Regierungsbeamte über die Washington Post kleine Hinweise, die die europäischen Verbündeten, insbesondere Deutschland, in die Bredouille bringen. „Bedeutende Regierungen“, heißt es da, seien über geheime Antiterroroperationen der CIA in Europa informiert gewesen. Als anschauliches Beispiel dafür berichtet die Washington Post über ein Gespräch des früheren US-Botschafters in Berlin, Daniel Coats, mit dem damaligen Innenminister Otto Schily im Mai 2004. Coats habe über die „versehentliche“ Entführung des Deutsch-Libanesen Khaled al-Masri berichtet und den Minister um Geheimhaltung gebeten.

Wenn Condoleezza Rice heute zu ihrem Besuch bei Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier in Berlin eintrifft, wird es der Kanzlerin und ihrem Außenminister schwer fallen, auf Aufklärung der geheimen CIA-Flüge über Deutschland und der möglichen Folterung von Gefangenen zu drängen. Die Öffentlichkeit interessiert zunächst viel naheliegendere Fragen: War die Bundesregierung über völkerrechtswidrige Praktiken der CIA informiert? Oder hat sie, was nicht viel besser wäre, schweigend darüber hinweggesehen, nach dem Motto: Wir fragen nicht nach Geheimoperationen, über die die Amis uns sowieso nicht informieren? Wusste Otto Schily tatsächlich von der Entführung eines deutschen Staatsbürgers? Hat er dagegen protestiert? Ist es glaubhaft, dass Schily weder seinen Kanzler Gerhard Schröder noch Kanzleramtsminister und Geheimdienstkoordinator Steinmeier oder Außenminister Joschka Fischer über den Fall informiert hat?

Die Bundesregierung in das Schweigekartell der Bush-Regierung einzubinden und auf den höheren Sinn des Antiterrorkampfes zu verweisen – das war ja wohl genau der Zweck der Propaganda-Übung. Die amerikanische Außenministerin hat unmittelbar vor ihrem Abflug denn auch klar gemacht, dass sie nicht gewillt ist, sich von den Europäern anklagen zu lassen. „Wir können nicht Informationen diskutieren, die den Erfolg von Geheimdienstarbeit, Strafverfolgung, Militäreinsätzen gefährden würden“, sagte Rice gestern. „Wir erwarten, dass sich andere Nationen dieser Ansicht anschließen.“ Amerikanische Informationen hätten immerhin auch in Europa Anschläge verhindert.

Es spricht einiges dafür, dass Rice zumindest in Berlin nicht mit unangenehmen Fragen rechnen muss. Die Bundesregierung hatte sich ja schon seit Tagen hinter der Formulierung versteckt, sie habe, was CIA-Flüge und mögliche Gefangenentransporte betrifft, „keine eigenen Erkenntnisse“ und warte jetzt die von den USA versprochene Antwort auf einen Brief der britischen EU-Ratspräsidentschaft ab. Seit gestern müssen sich Merkel und Steinmeier auch noch mit den Fragen an Schily herumschlagen. Sie tun das, vorsichtig formuliert, nicht gerade mit großer Leidenschaft.

Die Bundesregierung ließ über ihren Sprecher Ulrich Wilhelm mitteilen, ihr lägen „derzeit keine Informationen“ über ein geheimes Treffen Schily-Coats vor. Das Innenministerium kündigte an, den Bericht der Washington Post zu prüfen, Schily habe man aber noch nicht erreicht. Auf Nachfragen, ob Merkel sich bei Schröder, Steinmeier oder Fischer über den Wissensstand des früheren Kabinetts erkundigt habe, gab der Regierungssprecher immer wieder die gleiche Null-Auskunft: Ihm würden „derzeit keine Berichte“ dazu vorliegen. Außerdem sei, wie der Sprecher des Innenministeriums schon ausgeführt habe, zunächst Schily der Ansprechpartner, falls der etwas wisse, können man ihn fragen, wen in der Regierung er informiert habe, aber der Exminister sei, leider, leider, noch nicht greifbar gewesen …

Für ein wenig Aufklärung sorgten allein die Grünen. Parteichef Reinhard Bütikofer erklärte, die grüne Führung habe alle drei ihrer Exminister gefragt: Joschka Fischer, Renate Künast und Jürgen Trittin würden beteuern, nichts von der Information über die Al-Masri-Entführung gewusst zu haben. Auch über mögliche Gefangenentransporte in CIA-Flügen sei ihnen nichts bekannt gewesen. Dagegen spricht, dass Masris Anwalt im Juni 2004 in Briefen an Fischers Außenministerium und Schröders Kanzleramt über die Entführung seines Mandanten berichtet hatte. Die Opposition, aber auch vereinzelte Stimmen aus CDU und SPD fordern umfassende Aufklärung. FDP-Chef Guido Westerwelle hat die Bildung eines Bundestags-Untersuchungsausschusses ins Gespräch gebracht. Die Linkspartei will eine Aktuelle Stunde im Parlament beantragen. Ein schwerer Vorwurf steht im Raum: Bei einer Regierung, die solche Anschuldigungen „lediglich schweigend zur Kenntnis nimmt“, sagt Fraktionschef Oskar Lafontaine, „sind erhebliche Zweifel an ihrer Verfassungstreue angebracht“.