: Geschichte ist ein Männerfach
WIEDERBEGEGNUNG Die Historikerin Karin Hausen wird 75. Sie ist eine Pionierin der Frauen- und Geschlechterforschung. Was sie thematisierte, treibt feministische Forscherinnen bis heute um
KARIN HAUSEN
VON ULRIKE BAUREITHEL
Eigentlich wollte Karin Hausen über Kolonialgeschichte schreiben und vor Ort in Afrika forschen. Das war in den sechziger Jahren und für eine Doktorandin der Geschichte nicht selbstverständlich. Das Geld für den Aufenthalt in Kamerun hatte der Deutsche Akademische Austauschdienst DAAD schon bewilligt, dann kam die Hepatitis. Nicht mehr tropentauglich, befand der Arzt. Langanhaltende Depression.
Auf dem Kamerunberg ist die 1938 geborene Historikerin, die am 18. März 75 Jahre alt wird, also nicht gelandet. Aber doch weit oben, in jenem 20. Stock des Telefunkenhochhauses am Ernst-Reuter-Platz in Berlin, wo man die ganze Stadt überblicken kann. Das Hochhaus gehört zur Technischen Universität. Dass sich auf der Spitze dieses phallisch anmutenden Architektentraums 1995 ein Zentrum für Interdisziplinäre Frauenforschung, ZiF, einnistete, war Symbol und Provokation zugleich. Von da oben, wo die Luft dünn ist, schauten Karin Hausen und ihre Mitstreiterinnen nicht nur über das Berlin der Gegenwart, ihr forschender Blick pflügte sich auch durch die Ebenen darunter, die Männergeschichte, in der Frauen keinen Platz haben.
„Es war eine turbulente Zeit“, erinnert sich Hausen, die 1978 als Professorin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an die Technische Universität Berlin berufen worden war, in der Gründungsphase des ZiF. „Ich habe lange nachgedacht, ob ich ein solches Zentrum wirklich will. Das war damals eine strategische Überlegung, eine Reaktion auf die Stellenstreichungen an der Technischen Universität einerseits und auf die große Nachfrage nach Frauen- und Geschlechterforschung andererseits. Eine Institution, dachte ich, kann man nicht so einfach abschaffen. Und ich wollte nicht kampflos von der Bühne gehen.“
Frauen gegen Frauen
Wenn Karin Hausen von ihren Erfahrungen in dieser Zeit spricht, bekommt ihre Stimme einen leicht bissigen Unterton. „Das ganze Unternehmen passte vielen Leuten überhaupt nicht. Karin Hausen, hieß es, macht das alles ‚diktatorisch‘.“ Neben der Obstruktionspolitik der Uni-Leitung gab es auch den „Clinch“ mit anderen feministischen Wissenschaftlerinnen, die Konkurrenz witterten: „Es war einfach unglaublich, was da intern alles lief“, sagt sie kopfschüttelnd. Männer gegen Frauen. Frauen gegen Frauen. Die Institution – eine Kampfarena? Über die damaligen Auseinandersetzungen kursieren viele Legenden, aufgeschrieben hat sie diese Geschichte bislang nicht.
Groß geworden ist Karin Hausen in einem westfälischen Dorf mit zwei Brüdern, die Mutter eingespannt zwischen Geldverdienenmüssen und Haushalt. Für das Mädchen ein Segen. „Eine Kindheit auf der Straße, auf verbotenen Spielplätzen. Und dann eine Zweiklassenschule, in der ich als richtige Heidin unter lauter Katholiken saß“, träumt sie sich zurück. Später geht sie aufs Mädchengymnasium in Detmold und trifft auf Lehrerinnen, die in der Weimarer Zeit noch dem frauenbewegten Bund Deutscher Frauenvereine angehört hatten, ein Glücksfall in der Nachkriegszeit. Ihr Biologiestudium an der Universität Marburg schmeißt sie hin – „zu wenig Talent fürs Labor“. Überhaupt „war die Uni grauenhaft“, bricht es aus der Frau mit der sonst leisen Stimme heraus. „Besonders die schlagenden Verbindungen.“ Sie geht nach Berlin, fängt neu an, studiert Geschichte – ein Männerfach. Weibliche Vorbilder gab es kaum, eine Ausnahme war die friedensengagierte Philosophin und FU-Vizerektorin Margherita von Brentano, „rote Maggie“ genannt. „Von ihr war ich hingerissen.“
Karin Hausen empfängt in ihrer einfach eingerichteten Küche. Der Schrank hat das Flair aus Großmutters Zeiten, eine Spülmaschine ist nicht zu sehen. Die Einrichtung erinnert an Themen, über die Hausen geforscht hat, ganz abseits der „großen Geschichte“. Über den Herd des Grafen von Rumford etwa, der die Wissenschaft in die frühneuzeitliche Küchen einführte, oder über die Waschmaschine, die Bewegung in die häusliche Arbeitsteilung brachte.
Mit der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung fing auch bei Hausen alles an. Eines Tages, erzählt sie, da sei sie noch Assistentin an der Freien Universität gewesen und „überkreuz mit Thomas Nipperdey“, ihrem Chef, saß sie am Schreibtisch und fragte sich, wie das weitergehen sollte als Frau mit einem zweijährigen Kind. „Da setzte die Angst ein. Auf Konferenzen fragte man mich nie, worüber ich forschte, sondern wie ich das manage mit einem Kind“, ärgert sie sich noch heute. Warum war ihr Umfeld davon überzeugt, dass Frauen nicht denken können? Und so begann sie – auf der Suche nach einer Antwort – alte Konversationslexika zu durchforsten.
Was sie dabei herausfand und in einem Aufsatz niederschrieb, schlug ein und machte Karin Hausen in der Frauenbewegung schlagartig bekannt: Männer und Frauen, las sie in den dicken Wälzern immer wieder, hätten unterschiedliche Eigenschaften. Deshalb bewege sich der Mann in der öffentlichen Sphäre, während die Frau für die private zuständig sei. So weit, so bekannt. Aber so „natürlich“, wie da behauptet, ist das gar nicht. Es handelte sich vielmehr, fand Hausen bei weiteren Forschungen heraus, um eine plumpe Erfindung bürgerlicher Männer, die sich den Rücken frei und Konkurrenz vom Leib halten wollten, indem sie Frauen Haushalt und Kinder zuwiesen. Die Arbeiter ahmten es aufstiegsorientiert später nach. Es war ein scheinbar für beide Teile vorteilhaftes Arrangement, das von der Politik im Laufe der Zeit immer perfekter ausgestaltet wurde. „Ein vom Mann abgeleiteter Kranken- und Rentenversicherungsanspruch“ räumt Hausen ein, „hat für Frauen ja durchaus Vorteile.“
Obwohl Karin Hausen auch heute der Institutionalisierung der „Frauenfrage“ skeptisch gegenübersteht, wurde sie am Ende doch noch eine „Institutionenfrau“. Und sie beeinflusste die gerade einmal fünfzehn, zwanzig Jahre jüngere Studentinnengeneration, die 1976 begann, autonome Sommeruniversitäten für Frauen zu organisieren. In den achtziger Jahren waren es dann die Historikerinnentreffen in Amsterdam, Wien oder Bonn, die den Grundstein für eine neue Disziplin, die historische Frauen- und Geschlechterforschung, legten. „Den Frauen aus der Bewegung war ich ja immer ein bisschen zu zahm“, erinnert sich Hausen, „für die Institution aber gerade noch so erträglich.“ Zahm und ein bisschen bieder, wenn sie mit Rock und Pagenschnitt daherkam.
In ihrem Fall allerdings mag das zurückhaltende Auftreten auch ein Schlüssel sein, weshalb sie sich im Wissenschaftsbetrieb durchsetzen und profilieren konnte. Als Professorin forcierte sie die internationale Vernetzung, Hausen dozierte in Florenz, Baltimore und Ann Arbor, sie gab einschlägige Buchreihen und Zeitschriften heraus, wurde zu einer Art Wissenschaftsmanagerin. Sie forderte Interdisziplinarität, lange bevor das ein Modebegriff wurde, und förderte junge Studentinnen, wo sie nur konnte.
Frauen für Frauen
Dass sie viele von ihnen zu dieser, wie sie nun sagt, „grauenhaften Karriere“ an der Uni überredet hat, bereitet ihr heute Bauchschmerzen. „Ich dachte an sie als Nachwuchs für eine Zeit, in der die Quotierung an den Universitäten endlich durchgesetzt sein würde.“ Jetzt aber habe sie ein schlechtes Gewissen, weil der Besetzungsschub nach der Emeritierung der 68er-Generation einfach ausgeblieben ist.
Nach ihrer eigenen Emeritierung 2003 und dem Tod ihres Mannes ist Karin Hausen öffentlich nur noch selten präsent. Wenn sie Lust hat, schreibt sie. Was sie während der Pflege des Mannes erlebte und welche Erkenntnisse sich daraus für die Frauenforschung ziehen lassen, hat sie in einem Aufsatz festgehalten – was selten ist für eine Historikerin. „Männer sollten endlich begreifen, dass sie etwas zu gewinnen haben, wenn sie sich um Kinder kümmern.“ Die Pflege alter Menschen allerdings sei, sagt sie nachdenklich, eine größere Herausforderung für diejenigen, die sie verrichten – in der Regel Frauen.
Heute treibt sie um, dass die 68er-Frauen es nicht schafften, ihre Erfahrungen zu tradieren. „Es ist doch eigentümlich, dass Intellektuelle immer männlich gedacht werden, gerade so, als gebe es keine weiblichen Intellektuellen. Frauen müssen sich immer selbst erfinden.“
■ Karin Hausen: „Geschlechtergeschichte als Gesellschaftsgeschichte“. Der Band versammelt ihre wichtigsten Aufsätze, erschienen 2012 bei Vandenhoeck & Ruprecht