Bezahlinhalte bei „Bild.de“: Schmutzige Geschichten gibt's gratis

Seit sechs Wochen ist ein Teil von „Bild.de“ kostenpflichtig. Doch welchen Mehrwert kriegen die Leser dafür geboten? Eine Zwischenbilanz.

Dirk Bachs Grab (möge er in Frieden ruhen). Bild: dpa

Wer den Grabstein von Dirk Bach sehen will, muss zahlen. Wer etwas über das „Who is Who am Ballermann“ erfahren will, muss zahlen. Und wer die „schlimmsten Modesünden der Politiker“ begutachten will, muss, Sie ahnen es: zahlen. Willkommen bei Bild plus.

Am 10. Juni hat die Bild-Zeitung angefangen, Geld für ihre Onlineinhalte zu verlangen. Ein Schritt, der von vielen Journalisten mit Spannung erwartet und vom Springer Verlag mit einem beispiellosen Marketingbrimborium begleitet wurde. Doch wer ernsthaft gehofft hatte, der frische Wind im Hause Bild könne vielleicht ein bisschen von dem ganzen journalistischen Dreck wegfegen und stattdessen einen Hauch Qualität hineinwehen, der musste seine Hoffnungen schnell begraben.

Bild plus nennt sich das Modell, es gehört zur Paid-Content-Kategorie „Freemium“. Das heißt: Auf der Internetseite stehen kostenlose neben kostenpflichtigen Angeboten. Und fortan gibt’s alles, was mit einem Plus versehen ist, nur gegen Bezahlung.

Mindestens 4,99 Euro werden für das Abo monatlich fällig, der erste Monat kostet im Lockangebot 99 Cent. Manfred Hart, Chefredakteur von Bild.de, erklärt die Logik hinter Bild plus folgendermaßen: „Für die reinen Nachrichten muss der User nichts bezahlen. Aber das, was nur Bild kann und nur Bild hat, die exklusiven Geschichten, die besonderen Interviews und Hintergründe, die einzigartigen Fotos – das sind zukünftig Bild-plus-Inhalte.“

Opulente Infografiken

Am Anfang sah es auch gar nicht mal so übel aus. Zumindest rein optisch. Die ersten Tage Bild plus waren bestimmt von opulenten Infografiken und bildgewaltigen Serien, von Animationen, Tabellen und Fotos. Es war keine große Überraschung, dass die Bild-Leute bei der Onlineoffensive zunächst vor allem auf die Optik setzen würden, immerhin ist die auch offline ihre größte Stärke.

Oder wie Chefredakteur Kai Diekmann kurz vor dem Start in einem Handelsblatt-Interview sagte: „Bild heißt Bild – das heißt Foto.“ Und das heißt wiederum: Fotos sind bei Bild plus nicht nur groß, sie sind riesig. Oft werden sie nicht mehr, wie bisher, in einer durchklickbaren Fotostrecke gezeigt, sondern in den Artikel eingestreut: Ein bisschen Text, riesiges Foto, ein bisschen Text, riesiges Foto. So werden die Artikel in kleine Häppchen unterteilt, eine Praxis, die sich auch in der gedruckten Bild bewährt hat.

Titten, Tratsch und Trash – im Kern hat sich also nichts bei „Bild plus“ geändert. Screenshot: bild.de

Dieser Unterschied in der Optik ist der erste, der auffällt, wenn man einen Blick hinter die Paywall wirft. Doch bleibt er – auch nach mehreren Blicken – so ziemlich der einzige. Denn inhaltlich sieht es hinter der Bezahlschranke fast genauso aus wie davor.

Nehmen wir etwa den ersten Tag von Bild plus. Geboten wurden unter anderem: „Die Tabelle der Schande“ („Jeder 2. Rentner bekommt weniger als Hartz IV“), ein Interview mit Bild-Liebling Michael Schumacher („Mein neues Leben als Renn-Rentner“) und das große „Liebes-Horoskop“ („Bei diesen Sternzeichen knistert’s besonders“).

Im Laufe des Monats kamen dann Geschichten hinzu wie ein „Besuch in Mallorcas erstem Nackt-Hotel“, die „Kriminal-Akten der DSDS-Stars“, die „abgefahrensten Trainer-Outfits der Bundesliga-Geschichte“ oder der Report „Hilfe, mein Busen ist zu groß!“.

Irgendein Promi im Krisengebiet

Titten, Tratsch und Trash. Dazu eine gute Ladung Fußball und irgendein Promi in irgendeinem Krisengebiet – im Kern hat sich also nichts geändert. Nur dass man jetzt dafür zahlen muss, wenn man die Zeichnungen aus den „Jammerbriefen“ von Beate Zschäpe sehen will. Oder das Video, in dem Polizisten einen Mann krankenhausreif prügeln. Die Zahl der interaktiven Grafiken und aufwendigen Serien hat mittlerweile wieder abgenommen, der „Premiumbereich“ ist zu großen Teilen eine aufgeblasene, kostenpflichtige Version von Bild.de.

Warum eine Mutter ihr Kind doch nicht in die Krippe gibt: Die Titelgeschichte „Meiner kommt nicht in die Kita“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 20./21. Juli 2013. Darin außerdem: Die Anti-Euro-Partei Alternative für Deutschland wird dominiert von westdeutschen Männern über 50. An ihrer Spitze steht allerdings eine Frau aus Ostdeutschland. Und: Der Autor Péter Esterházy über die Hölle der Perfektion und das Deutsche in Ungarn. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Dabei ist eine der bereits fest etablierten Bild-plus-Maschen zum Vorgaukeln inhaltlichen Tiefgangs das Aufzählen von Dingen. Zu jedem Mist gibt es irgendeine mistige Aufzählung. „33 Fragen und Antworten, die jeder Autofahrer kennen sollte“; „Die 50 schrägsten Erstattungswünsche von Versicherten an ihre Krankenkasse“. Auch auf die aktuelle Nachrichtenlage reagiert Bild plus liebend gern mit Aufzählungen.

Wenn irgendwo ein Flugzeug notgelandet ist, zählt Bild plus alle berühmten Notlandungen auf. Wenn ein Promi verdächtigt wird, gekokst zu haben, zählt Bild plus alle Promis auf, die verdächtigt wurden, gekokst zu haben. Früher hätte Bild.de eine Klickstrecke dazu veröffentlicht, heute wird ein Bild-plus-Artikel daraus gestrickt. Denn der Leser soll nicht mehr klicken, sondern zahlen.

Etwa für den Artikel, in dem Pep Guardiola zu Wort kommt. Seit Wochen ärgert sich die Bild-Zeitung darüber, dass der neue Trainer des FC Bayern, den sie ehrfurchtsvoll den „großen Pep“ nennt, alle Interviewanfragen ablehnt. Dann sprach er aber irgendwann doch – und bei Bild plus verkündete man per Schlagzeile: „Guardiola spricht ein bisschen in BILD“. Nun ja. In Wirklichkeit hatten Bild-Leser den Trainer im Urlaub getroffen und sich kurz mit ihm unterhalten. Was etwa so klingt: „ Dürfen wir ein Foto machen? “ – „ Ja, klar. Wo sollen wir das machen?“

Willkürliche Auswahl

Nicht nur aufgrund solcher pompös verpackten Nullnummern wirkt die Auswahl der Artikel häufig eher willkürlich als geplant. Das macht es für Bild nicht gerade einfacher, die Leser von der angeblichen Besonderheit des „Premiumbereichs“ zu überzeugen. Klar – dass man für Artikel aus der gedruckten Bild auch online bezahlen muss, leuchtet vielleicht noch ein, immerhin kostet die Printausgabe ja auch Geld.

Aber warum ein Artikel über die häufigsten Fußerkrankungen mehr wert sein soll als einer über die häufigsten Herzerkrankungen, bleibt das Geheimnis der Redaktion. Da wundert es auch nicht, dass ein Interview mit dem „Traumschiff“-Kapitän Andreas Jungblut zuerst gratis zu lesen war, ein paar Stunden später aber nur noch gegen Bezahlung.

Was trotz der offensichtlichen Willkür bei der Vergabe des „plus“-Siegels aber auffällt, ist, dass Bild sich große Mühe gibt, den „Premiumbereich“ einigermaßen sauber zu halten. Erotik gibt es nur vereinzelt, und wenn, dann in halbwegs seriöser Aufmachung.

Auch über Unfälle und Verbrechen berichtet Bild.de fast ausschließlich im Gratisbereich. Die wirklich schmutzigen Geschichten, in denen eindeutig die Unwahrheit erzählt wird, in denen Persönlichkeitsrechte missachtet und Menschen mit böswilligen Kampagnen unter Beschuss genommen werden – die gibt es immer noch gratis.

Zahlen für das Gesicht des Mordopfers

Im Fall der getöteten Peek-&-Cloppenburg-Chefin Carola H. sah es kurzzeitig so aus, als würde der frische Wind der Paid-Content-Ära auch auf den Gratisseiten von Bild.de etwas bewegen. Auf dem Foto der Frau war das Gesicht unkenntlich gemacht worden, eine Seltenheit. Doch steckte hinter der Unkenntlichmachung gar nicht die Sorge um Persönlichkeitsrechte, sondern lediglich ein weiterer Trick von Bild plus, die Leser hinter die Paywall zu locken: Nur wer bezahlt, darf das Gesicht des Mordopfers sehen.

Alles in allem gibt es nach sechs Wochen also wenig Neues im Onlinebereich der Bild-Zeitung. Nur hin und wieder zeigt sich, was Kai Diekmann vor Augen hatte, als er sagte: „Wir brauchen also Journalisten, die völlig neue Darstellungsformen entwickeln, die sich für Technik begeistern, die Augen offen halten und beobachten, welche neuen Tools es gibt, die wir für die digitalen Plattformen einsetzen können.“

Innovationen. Technik. Storytelling. Ein Hauch von Silicon Valley. Ja, auch das gibt es bei Bild plus. In der Berichterstattung über den gewaltsamen Tod von Reeva Steenkamp etwa, der Freundin von Sprinter Oscar Pistorius, gehen die Journalisten völlig neue Wege. Dort werden „die zwei Geschichten einer fatalen Nacht“ erzählt, und zwar „so, wie sie nie zuvor erzählt worden sind“: Die Bild-plus-Reporter sind nach Südafrika gereist und „haben mit Nachbarn, Zeugen und Freunden des Paares gesprochen“.

In einer interaktiven schwarz-blutroten Grafik werden dann alle grausamen Details der Tatnacht geschildert, einmal aus Sicht der Anklage und einmal aus der des Angeklagten. Eines der Fotos zeigt die Blutlache am Tatort, ein anderes den Grundriss des Gebäudes, in dem die Frau erschossen wurde. Die Reporter zitieren Gerichtsprotokolle und erklären genau, wie viele Kugeln welche Körperteile des Opfers getroffen haben. Wenn so die Zukunft des Journalismus aussieht, na, dann gute Nacht.

Der Autor ist Mitarbeiter des Bildblog, das die Berichterstattung der Bild-Zeitung und anderer Medien kritisch beobachtet

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