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Archiv-Artikel

Reform der Reform

Was wäre an einem Diplom-Abschluss so schlimm? Hintergründe einer hitzigen Diskussion

1. Worum geht es bei dem Streit ums Diplom eigentlich?Der Streit ums Diplom berührt eine Grundsatzfrage der europäischen Bildungspolitik. 1999 einigten sich Wissenschaftsminister aus 29 europäischen Staaten auf eine der größten Hochschulreformen der europäischen Geschichte. Heute sind bereits 46 Staaten an der Umsetzung der Bologna-Reformen beteiligt. Ihr Ziel: die Umstellung sämtlicher Studiengänge auf die zweistufigen Bachelor- und Master-Studiengänge. Auch in Deutschland wurden seitdem nahezu sämtliche Diplom- und Magister-Studiengänge abgeschafft. Rund 80 Prozent der deutschen Studiengänge sind heute schon auf die neue Struktur umgestellt. 2. Was fordern die TU9 genau? Die neun größten technischen Universitäten verlangen offiziell keine grundlegende Reform der Reform. Aber sie wollen an ihren Universitäten den akademischen Grad des Diplom-Ingenieurs wieder einführen. 3. Wer sollte sich überhaupt daran stören, dass es wieder ein Diplom gibt? Die radikalen Reformbefürworter, die bislang das Sagen hatten. Dazu zählen vor allem die Hochschulrektorenkonferenz, die Kultusministerkonferenz sowie zahlreiche Uni-Präsidenten. Sie wollen eine Debatte über die Akzeptanz der neuen Studienabschlüsse möglichst vermeiden. Störfeuer aus den eigenen Reihen können sie dabei gar nicht gebrauchen. Mit den TU9 fordern selbst mächtige Elite-Unis wie die Uni Karlsruhe und die TU München das Diplom ein. Das Besondere ist also: Der Druck kommt nicht mehr von der Straße, sondern aus den Chefetagen. 4. Wer profitiert von dem Vorstoß? Vor allem die geschröpften Studierenden, die in den letzten Monaten kräftig protestierten. Sie können den profilierten Ruf nach dem Diplom getrost als Unterstützung werten. Doch der Vorstoß der Ingenieure wird auch bei anderen Interessengruppen Begehrlichkeiten wecken. So hat etwa die Lehrerausbildung besonders stark unter den Bologna-Reformen gelitten. Daneben bangen Mediziner und Juristen, die bislang von den Reformen verschont waren, vor einer Umstellung auf die neuen Studiengänge. Sie alle können nun auf dem Trittbrett der etablierten Unis mitfahren. MARTIN KAUL