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Archiv-Artikel

Der Dreh mit dem Diplom

REFORMEN Wie die Studierenden fordern auch Hochschullehrer eine Einführung der alten Studienabschlüsse. Aus den Ländern weht schon der Gegenwind

Der Vorstoß der Hochschullehrer bringt eine Debatte in Gang, die der Bildungsstreik angestoßen hat

VON MARTIN KAUL

Hochschulverbände und Landesminister reagieren mit Kritik auf die Forderung von Ernst Schmachtenberg, das Diplom wieder einzuführen. Der Rektor der Rheinisch-Westfälischen Technische Hochschule Aachen ist zugleich Präsident der TU9, einem einflussreichen Verbund der neun größten Technischen Universitäten in Deutschland. Schmachtenberg hatte im taz-Interview gefordert, künftig wieder den akademischen Grad des Diplom-Ingenieurs vergeben zu dürfen.

Niedersachsens Wissenschaftsminister Lutz Stratmann (CDU) forderte die TU9-Universitäten auf, die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz zu beachten und auch in den technischen und in den natur- und ingenieurwissenschaftlichen Bereichen vermehrt Bachelorstudiengänge anzubieten. Diese müssten einen berufsqualifizierenden Abschluss an Fachhochschulen und Universitäten vermitteln.

Ein Sprecher des hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst sagte der taz: „Für uns ist entscheidend, dass die TU9 klar zu den Bologna-Umstellungen steht und daran nicht wackelt.“ Es dürfe nicht zu einer Konkurrenz zwischen Master und Diplom kommen. Auch die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Margret Wintermantel, sagte der taz: „Ich habe keinen Zweifel daran, dass sich der deutsche Master auch in den Ingenieurwissenschaften zu einem internationalen Markenzeichen entwickeln wird.“

Für seinen Ruf nach dem Diplom erhält Schmachtenberg allerdings auch Unterstützung. Der Hochschulverband, der etwa 23.000 Hochschullehrer und Professoren in Deutschland vertritt, stellte sich hinter die Forderung der TU9.

Auch der Sprecher für Hochschule und Wissenschaft der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Andreas Keller, sagte: „Ein fünfjähriges Studium muss nicht nur für die Ingenieure möglich sein. Wir wollen, dass alle Studierenden das Recht haben, ein fünfjähriges Studium zu absolvieren.“

Nicole Gohlke, hochschulpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, griff den Vorstoß der TU9 ebenfalls auf. Sie sagte gegenüber der taz: „Es ist wichtig, dass auch die mächtigen Universitäten erkennen, dass die neuen Studienabschlüsse die Gefahr der Dequalifizierung mit sich bringen. Es ist daher an der Zeit, endlich auch substantielle Veränderungen an den Hochschulen vorzunehmen und die bisherigen Studienreformen kritisch zu hinterfragen.“

Damit bringt der Vorstoß der TU9 eine Debatte neu in Gang, die durch den Bildungsstreik der Studierenden in den letzten Monaten bereits geführt worden war. Es geht um die Anerkennung der neuen Studiengänge Bachelor und Master – und um die heftige Kritik, die es an den Studiengängen zuletzt wieder verstärkt gegeben hatte.

Kein Wunder, dass selbst die Studierenden den Vorschlag des Elite-Bündnisses der mächtigen Technischen Universitäten aufgreifen. Ralf Lüth, Studierender im derzeit besetzten Hörsaal an der Universität Köln, sagte der taz: „Die Wiederbelebung des Diploms ist ein erster Schritt. Dabei kann es aber nicht bleiben. Die Hochschulreformen der letzten Jahre müssen jetzt radikal zurückgedreht werden.“

In der TU9 sind äußerst mächtige Universitäten vertreten. Unter anderem sind Eliteunis wie die RWTH Aachen, die TU München oder das Karlsruhe Institute for Technology unter ihrem Dach versammelt. Der Präsident der TU9, Ernst Schmachtenberg, hatte am Freitag in der taz gesagt, seine Universitäten würden darauf hinarbeiten, den akademischen Grad des Diplom-Ingenieurs wieder einzuführen. Dieser ist an den meisten Hochschulen im Laufe der Hochschulreformen der letzten Jahre gerade erst abgeschafft worden. Zwar hatte Schmachtenberg betont, ihm gehe es nicht darum, die Hochschulreformen der letzten Jahre in Zweifel zu ziehen. Sein Vorschlag birgt aber große Sprengkraft. Erstens stehen die neuen Studiengänge Bachelor und Master seit den Studierendenprotesten ohnehin unter Beschuss. Zweitens könnten sich viele Interessenverbände den Vorstoß der mächtigen Universitäten zu eigen machen. Dem Vernehmen nach droht daher in der Hochschulrektorenkonferenz Ärger (Text rechts).