: Auferstehung ist ein Zaubertrick
Sklavische Treue zur Buchvorlage: Andrew Adamson gestaltet „Die Chroniken von Narnia“ äußerst familienfreundlich
Der Beginn von „Die Chroniken von Narnia“ ist nicht märchenhaft. Vier Kinder werden wegen der deutschen Bombenangriffe aufs Land verschickt. Die Mutter ermahnt Peter, den Ältesten, auf die jüngeren Geschwister aufzupassen. Nach einer langen Eisenbahnfahrt und einigen bangen Minuten Wartezeit werden sie von einer unfreundlichen Haushälterin abgeholt und zu einem Herrensitz gebracht. Dort entdeckt Lucy, die Jüngste, in einem Schrank den Zugang zu einer Welt voller Fabeltiere, aber ohne Menschen: „Narnia“.
Kinder als Hauptdarsteller also. Solche Filme erreichen normalerweise Erwachsene nur in ihrer Funktion als Eltern. Dass es bei diesem Film anders ist, liegt an Georgie Henley in der Rolle der kleinen Lucy. Anämisch und rundgesichtig, also durch und durch englisch wie auch ihre Geschwister, was bei einer Disney-Produktion angenehm überrascht, lässt sie alles Puppenhafte vermissen. Sie spielt ein neugieriges, vertrauensvolles und überraschend verständiges Mädchen. Hinreißend, wie sie zum ersten Mal einem Faun begegnet, der selbst vor Schreck alles von sich wirft. Sie ist es, die auf ihn zugeht. Später erfährt sie, dass nur vier Menschen Narnia von der Weißen Hexe erlösen können, die das einst blühende Land in einem 100-jährigen Winter erstarren ließ. Nach einigem Hin und Her folgen ihr die Geschwister in das Fabelland, und das Unglück nimmt seinen Lauf. Denn Edmund, der als Zweitjüngster von den größeren Geschwistern immer wieder gemaßregelt wird, verrät aus Unwissenheit, Ruhmsucht und Dummheit seine Geschwister und die Aufständischen, die sich sammeln, um Narnia zu befreien.
Andrew Adamson, der schon die Regie bei den beiden „Shrek“-Filmen führte, inszeniert einen der unaufgeregtesten Anfänge, die wohl je ein Fantasy-Film hatte. Er entwickelt behutsam die Figuren, was besonders den animierten zugute kommt. Das Bieberehepaar, das die Kinder zu Aslan, dem Anführer der Aufständischen, bringen soll, ist bestechend realistisch in seinen Bewegungen, was besonders beim Reden schwierig ist. Bedeutender noch, beide Nager haben einen eigenen Charakter, sie sind keine Karikaturen. Überhaupt hat die Animation dieses Films ein Niveau, das so noch nie zu sehen war. So genau man auch hinschaut, die Kentauren sehen echt aus. Natürlich hat dies mit Software zu tun, aber auch mit einem Verständnis für Bewegungen, vor allem aber der Liebe zum Detail. Wie muss ein Kentaur seinen Oberkörper halten, wenn er galoppiert?
Fantasy-Filme leben von der Liebe, mit der die Bösen gezeichnet sind. Der Schauspielerin Tilda Swinton gelingt eine überzeugende Hexe. Bosheit ist kaum mehr als ein knappes Zusammenziehen der Augen, ein kurzes Anheben der Stimme. So kalt war niemand seit Hans Christian Andersens „Schneekönigin“, von der C. S. Lewis, der Autor der Buchvorlage, reichlich abgeschrieben hat. Swintons gleichermaßen unterkühlter wie eleganter Kampfstil ist eine Art mörderisches Ballett, das sich erfrischend vom plumpen Heranstürmen von Heerscharen unterscheidet, das hier wie schon in „Herr der Ringe“ so langweilig ist (Taktik und Eleganz finden Fantasy-Männer beim Kämpfen offenbar lässlich).
Nach einer Stunde glaubt man, einen wunderbaren Film vor sich zu haben. Dann aber verlässt den Regisseur offenbar der Mut. Er opfert seinen Film zugunsten der Geschichte von Lewis. Den Weihnachtsmann, der den vier Kindern statt Spielzeug Waffen bringt, zeichnet er ohne Sinn für die groteske Situation (diese Szene hätte ich gerne von Tim Burton gesehen). Und als der Löwe Aslan, der Anführer der Aufständischen, sich als Opfer für den Verräter Edmund von der Hexe abschlachten lässt, dauert es nur kurze Zeit, bis er wieder lebendig wird (und ihm sogar die geschorenen Haare wieder nachgewachsen sind!). Interpreten haben auf die Analogie zu Christus hingewiesen, was aber die Szene nicht weniger kindisch macht. Warum tut der Löwe so geknickt, wenn er doch dank seines magischen Wissens weiß, dass er gleich wieder dabei ist? Auferstehung hat hier die Bedeutsamkeit eines Zaubertricks. Und welches Opfer ist ein Opfer, wenn man weiß, dass es kein Opfer ist?
Am Ende siegen die Guten in der entscheidenden Schlacht. Die ist sehr familienfreundlich, denn selbst Schwerverwundete bluten nicht. Lucy schließlich eilt von einem Verwundeten zum anderen und setzt ihren Zaubertrank ein, der sowieso augenblicklich alle Wunden heilt. Ihrem Gesicht glauben wir, dass sie von der Wirkung des Wunders überzeugt ist. Nur sind Wunder ganz schlecht für die Glaubwürdigkeit eines Films. MARTIN ZEYN
„Die Chroniken von Narnia“, Regie: Andrew Adamson. Mit Tilda Swinton, Jim Broadbent u. a., USA 2005, 125 Min.