„Bertelsmann hat enormen Einfluss“

Noch bis morgen kann die Springer AG Bedenken des Kartellamts gegen die Übernahme von ProSiebenSat.1 ausräumen. Die Wettbewerbshüter fürchten zu viel Macht für Springer. Konkurrent Bertelsmann nutzt sie bereits, sagt Politologe Kleinsteuber

taz: Die Übernahmepläne der Springer AG sorgen zurzeit für Aufregung. Mit Bertelsmann existiert bereits ein ähnlicher Medienkonzern in Deutschland. Wie mächtig ist er?

Hans Kleinsteuber: Das Haus Bertelsmann gehört zu den sechs großen Medienunternehmen der Welt. Sein Betriebsergebnis übertrifft das von Springer um ein Vielfaches. Da wäre es ungewöhnlich, wenn der Konzern nicht auch in seinem Stammland enormen Einfluss ausübt.

Wie agiert Bertelsmann im politischen Raum?

Das Unternehmen hat publizistischen Einfluss – mit seinen Printmedien wie etwa den Stern und der Senderfamilie RTL. Hinzu kommt die Stiftung, die den Großteil des Kapitals der Bertelsmann AG hält und gleichzeitig als gemeinwohlorientierte Denkfabrik für eine bessere Politik auftritt. Die Stiftung folgt dem Auftrag ihres Gründers Reinhard Mohn, der sich selbst als sozialen Unternehmer sieht.

Was tut die Bertelsmann-Stiftung, wenn sie das Gemeinwohl zu fördern meint?

Die Stiftung versteht sich als Reformmotor für Deutschland. Nehmen wir die Sozial- und Arbeitspolitik. Die Stiftung hat ausländische Reformprojekte ins Spiel gebracht, die dann in die Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung eingingen, etwa zur Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe oder Hartz IV. Jetzt, wo Hartz IV zu scheitern droht, will man davon freilich nichts mehr wissen.

Arbeitet die Stiftung auch in Richtung Medienpolitik?

Dazu legte sie eine so genannte „Kommunikationsordnung 2010“ vor. Die Zukunftsbereiche der Medienbranche – Spartenkanäle, Pay-TV, Internet – werden danach bei den privaten Unternehmen angesiedelt. Das an sich hochgelobte öffentlich-rechtliche Fernsehen wird auf die traditionellen Voll-Programme festgelegt. Das sind natürlich Empfehlungen, die den Interessen eines privaten Konzerns entsprechen, öffentliche Anstalten wie die ARD aber behindern.

Ist Bertelsmann durch seinen Zugang zur politischen Elite einflussreicher als Springer mit seinen Massenblättern?

Die Bertelsmann-Stiftung ist stolz darauf, dass das politische Spitzenpersonal bei ihr ein- und ausgeht. Exkanzler Gerhard Schröder hat Unternehmen und Stiftung in Gütersloh gleich nach seinem Amtsantritt 1998 einen Besuch abgestattet, und auch Angela Merkel ist seit Jahren Gast bei Bertelsmann. Die Stiftung versucht, ihre Ideen an der jeweils aussichtsreichsten Stelle einzuspeisen.

Wie sieht das gesellschaftliche Leitbild der Stiftung aus?

Man könnte es auf die wohlklingende Formel „Bürgergesellschaft statt Eingriffsstaat“ bringen. Als Rückgrat der Bürgergesellschaft werden vor allem Unternehmen betrachtet, die gesellschaftliche Aufgaben angeblich besser erfüllen können als der Staat. Eigenständige Bürgermedien kommen aber erstaunlicherweise gar nicht vor.

Halten Sie die Kombination aus Medienkonzern und Politikberatung für problematisch?

Es wird immer dann schwierig, wenn keine klare Trennungslinie zwischen unternehmerischer Tätigkeit und Politikberatung gezogen wird. In den USA ist Unabhängigkeit oberstes Gebot: In der Leitung der Ford-Foundation werden sie den Familiennamen Ford nicht finden. Ja, die Stiftung besitzt nicht einmal eine Ford-Aktie. Bei Bertelsmann hingegen ist das völlig normal.

Die enge Verbindung zwischen Unternehmen und Stiftung müsste doch auch das Kartellamt beschäftigen.

Das funktioniert nicht. Der Einfluss einer Stiftung unterliegt nicht dem Kartellrecht. Wir brauchen eher Konkurrenzveranstaltungen zur Bertelsmann-Stiftung. Politikberatung vor dem Hintergrund eines anderen Wertehorizonts wäre dringend notwendig.

INTERVIEW: HANNES KOCH

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