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Archiv-Artikel

„Ich setze gerne Flöhe ins Ohr“

KARRIERE ODER HERZENSSACHE Früher hatte sie für jedes Problem eine Lösung parat, sagt Daniela van Santen. Dann bekam die Unternehmerin den schlimmsten Liebeskummer ihres Lebens – und wusste sich plötzlich nicht mehr zu helfen. Inzwischen ist sie ein Profi in Beziehungsfragen

Daniela van Santen

■ 51, im Münsterland aufgewachsen, lebt seit 1992 in Hamburg. Sie hat einen 26-jährigen Sohn und eine 16-jährige Tochter.

■ Seit 2005 arbeitet die studierte Psychologin als Business-, Karriere- und Liebeskummer-Coach in Hamburg-Eppendorf.

■ Zuvor ist sie unter anderem mit dem LKW durch ganz Europa gefahren, hat vier Modeboutiquen geführt und war Autorin für einen großen Musikverlag.

INTERVIEW KATHARINA GIPP

taz: Frau van Santen, wie ist das mit Ihnen und dem Liebeskummer?

Daniela van Santen: Ich war schon über 40, als es mich richtig erwischt hat. Ich kannte schon die schwächeren Varianten, aber so was hatte ich noch nie erlebt, auch nie für möglich gehalten: Ich hatte meine große Liebe nach 15 Jahren wieder getroffen und konnte und wollte nicht verstehen, dass sich in der Zeit so viel verändert hat. Wie immer bei schlimmem Liebeskummer haben Kopf und Herz gegeneinander gekämpft und es gab keinen Gewinner. Für mich war es das Schlimmste, was mir je passiert ist.

Eine neue Erfahrung.

Vorher hatte ich für jedes Problem eine Lösung parat. Das konnte ich nicht mehr lösen. Dieser schlimme Liebeskummer war der Auslöser dafür, eine eigene Liebeskummer-Praxis zu eröffnen.

Wie genau äußert sich Liebeskummer?

Es gibt den klassischen, für den man weder Coach noch Therapeuten braucht. Da helfen Standardtipps: Gehen Sie raus, lenken Sie sich ab. Wenn man auch noch Freunde hat, die zuhören und trösten, hat man ihn schnell überwunden. Wenn man hingegen einen richtig schlimmen Liebeskummer hat, kann man nicht mehr vernünftig arbeiten, essen oder schlafen. Die Gedanken funktionieren nicht mehr. Oft kommen psychosomatische Erkrankungen, Magenprobleme, Rücken- und Kopfschmerzen und Hautausschläge dazu – und die Ärzte finden keine Ursache.

Wenn sich jemand an Sie wendet: Wie finden Sie heraus, unter welcher der beiden Arten er oder sie leidet?

Bei mir dauert das Erstgespräch bis zu drei Stunden. Zuerst erzählt mir mein Klient seine Beziehungsgeschichte. Ich brauche einen Überblick, was in früheren Beziehungen passiert ist, was nicht verarbeitet worden ist. Dann kommen wir zu der eigentlichen Geschichte. Die lasse ich mir ausführlich erzählen und stelle Fragen. Dann habe ich schon ein ganz gutes Bild. Menschen, die zu mir kommen, haben oft ein schreckliches Chaos im Kopf. Der Kopf denkt: „Er/sie hat mir dies und das angetan, eine Trennung wäre das Beste.“ Das Herz schreit: „Nein! Ich kann ohne ihn/sie nicht leben.“ Ich denke dabei an das Bild von einem Wollknäuel: Der Beziehungsfaden ist verheddert und je mehr man darüber nachdenkt, desto weiter verknotet er sich. Zusammen mit meinen Klienten versuche ich, das Knäuel zu entwirren.

Wie das?

Ich verwende zum Beispiel sogenannte Wertekarten: Sie zeigen wichtige Aspekte in einer Beziehung, wie etwa Liebe, Vertrauen, gemeinsame Wünsche und Träume, Respekt. Mein Klient wägt ab, welche Aspekte auf seine Beziehung zutreffen. Wenn eine Beziehung in Ordnung ist, bleiben alle Karten liegen. Bei meinen Klienten ist das nicht der Fall.

Woher kommen Ihre Methoden?

Einiges stammt aus meinem Studium und aus der Coaching-Ausbildung. Aber für vieles brauche ich einfach Gespür und Erfahrung. Statt auf Familienfeiern mit anderen Kindern zu toben, habe ich mich schon früh dafür interessiert, was bei den Erwachsenen los ist. Meine Tante Waltraud hatte oft ein blaues Auge oder war im Krankenhaus. Es gab Ausreden wie: Der Staubsauger sei ihr ins Auge geraten. Mir war schnell klar, dass das nicht der Staubsauger war, sondern dass Onkel Heinz draufgehauen hat. Alle haben das gedeckelt. Ich habe mich gefragt, warum verhalten sich jetzt alle so seltsam? Warum verprügeln jetzt nicht alle Onkel Heinz? Diese Frage hab ich auch mal an der Kaffeetafel gestellt – und prompt eine Ohrfeige kassiert. Beim Coaching ist es auch oft so, dass ich provoziere, Dinge klar anspreche, für Aufruhr sorge – um Verhaltensmuster aufzubrechen.

Was kommt nach der ersten Sitzung?

Wir sehen uns in regelmäßigen Abständen und besprechen, was passiert ist und welche neuen Gedanken entstanden sind. Bei manchen Klienten setze ich Hypnose ein. Dabei geht es nicht darum, die Vergangenheit heraufzubeschwören, sondern darum, positive Gefühle zu verstärken. Ich kann und will den Menschen nicht verändern, aber man kann Verhaltensweisen ändern. Ich mache keine Therapie, sondern ausschließlich Coaching. In Notfällen muss sich was bewegen – und das möglichst schnell. Ich mache Vorschläge, gebe Ratschläge, zeige Möglichkeiten auf, schätze ein. Ich setze auch gerne Flöhe ins Ohr. Am wichtigsten ist mir aber, dass ich für den Klienten da sein kann, wenn er mich dringend braucht. Ich stehe jeden Tag bis weit nach Mitternacht zur Verfügung.

Und was ist mit Feierabend?

Einmal im Jahr fahre ich in den Urlaub. Die Ruhe brauche ich auch. Aber ich bin immer ein sehr kraftvoller Mensch gewesen. Von dieser Kraft kann ich abgeben, weil ich mit mir und meinem Leben absolut zufrieden bin. Klienten sagen oft zu mir: „Das muss doch furchtbar sein, den ganzen Tag mit Menschen zu tun zu haben, die ihre traurigen Geschichten erzählen.“ Das ist es keineswegs. Die traurigen Geschichten sind meine Arbeitsgrundlage. Mein Ziel ist es, den Menschen wieder glücklich zu sehen.

Liebeskummer-Coach sind Sie erst seit ein paar Jahren. Welcher Weg liegt hinter Ihnen?

Nach dem Abi habe ich BWL studiert. Ich wusste nicht genau, was ich machen wollte – nur, dass ich irgendwann einmal selbstständig sein wollte. Dann gestand mir meine damalige Liebe, dass er schon immer davon geträumt habe, mit einem 40-Tonner durch Europa zu fahren. Wir haben einen Kredit aufgenommen, eine Spedition aufgemacht und dann ging es los. Dann wurde ich überraschend schwanger. Das hat mich aber nicht gebremst. Erst schwanger und dann mit Baby sind wir mit dem LKW durch ganz Europa gefahren, bis der Kleine zu krabbeln anfing. Dann bin ich zu Hause geblieben, bis mir die Decke auf den Kopf fiel. Ich musste wieder was machen.

Was war das?

Nach der LKW-Zeit wünschte ich mir ein bisschen Schischi, also habe ich eine kleine Boutique eröffnet. Das Geschäft lief gut, so hatte ich bald vier Boutiquen – und war noch keine 30.

Warum haben Sie aufgehört?

Irgendetwas fehlte. Ich hatte alle Ziele erreicht, aber kaum noch Freundinnen. Viel Geld ist dann auf einmal gar nicht mehr schön. Ich war einsam, hatte aber auch gemerkt, dass diese Karriere und das ganze Geld, dass ich das eigentlich gar nicht bin. Dann war ich am Wochenende hin und wieder in Hamburg, um der Enge zu entfliehen, und habe Udo Lindenberg kennengelernt.

Wow.

Wenn zwei Menschen mein Leben beeinflusst haben, dann waren das Pippi Langstrumpf und Udo Lindenberg. Sie steht für mich dafür, unmögliche Ziele erreichen zu können. Er machte mir als Teenager mit seinen Liedern Mut. Als ich ihn dann traf, passierte auf einmal so viel. Ich beschloss, die Boutiquen zu verkaufen. Alle haben mich für irre gehalten. Ich hatte aber einfach so ein Bauchgefühl. So bin ich dann nach Hamburg gezogen.

Und dann?

Erst habe ich nichts gemacht. Ich wusste nur, da kommt noch was. Dann erlitt ich einen mittelschweren Liebeskummer und fing an, Songs zu schreiben. Ein Freund aus der Musikszene hat mich überredet, ihm meine Texte zu zeigen. Er fand sie gut und hat mich mit ins Studio genommen. Das ging dann zu einem großen Verlag, der mir viel Geld anbot. Als der Weg in Richtung Plattenveröffentlichung ging, wurde ich schwanger. Da war Land unter, man versuchte teilweise echt massiv, mich zum Abtreiben zu bewegen. Ich weigerte mich und habe alles hingeschmissen. Ich habe meine Tochter zur Welt gebracht und bin mit ihr nach Sizilien gegangen.

Warum gerade Sizilien?

Es war immer mein Traum, längere Zeit im Ausland zu leben, um mal so richtig in eine andere Kultur einzutauchen. Als alleinerziehende Frau und ohne ein Wort Italienisch zu können, war es anfangs schwer, aber ich hatte wieder ein großes Ziel. Als meine Tochter sechs wurde und es an die Einschulung ging, bin ich wieder zurück nach Hamburg. Ich habe die Ausbildung gemacht und Psychologie studiert.

Kennen Ihre Klienten Ihre Vorgeschichte?

Ich erzähle das eigentlich nie. Nachher denken sie noch: „Was ist das denn für eine Wilde, die kann mich gar nicht verstehen.“ Dadurch fällt es mir nicht schwer, mich in die Menschen hineinzuversetzen und ihnen Mut zu machen. Für mich ist es einfach nur meine Entwicklung. Ich habe mir immer Träume erfüllt, wenn es möglich war und andere nicht darunter leiden mussten. Ich bin im Leben unterwegs, sammele Geschichten. Die schönen hebe ich auf und sie geben mir Kraft, wenn es mir mal nicht so gut geht.