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Archiv-Artikel

Echte Rosen verbrennen

NEUE GENERATION Kleine Monster und die schönen Künste: Die ifa-Galerie stellt eine Kunstszene aus Vietnam vor, die sich erfolgreich gegen den Druck der Tradition behauptet. Lack, Seide und Öl zu entkommen ist nicht einfach

Die 148 Brusttaschen sind einer Art Funktionärsjackett entnommen, vorgesehen für Bestechungsgelder

VON JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER

Sind das alles kleine Buddhas? Vergleichbar mit der Tradition buddhistischer Statuen in alten Tempelgärten sitzen Kinderpaare auf Lotusblüten in Dinh Q. Lês Installation „Zerstörte Gene“. Dass alle Figurinen siamesische Zwillinge sind, irritiert allerdings. Auch die ausgelegte Kinderkleidung besteht aus Pullovern für zwei Köpfe, und weitere Plastikpüppchen haben gleichfalls markante physische Deformationen. Dinh Q. Lês schockierende Objekte sind Teil einer Ausstellung über die Kunstszene Vietnams in der ifa-Galerie, die mit zehn weiteren Positionen spannende Einblicke gibt.

Die subtile Verbindung eines liebevollen Traditionalismus mit aktuellem Horror verleiht der Arbeit von Dinh Q. Lê besondere Stärke. Mit emotionaler Dringlichkeit weist er auf die Spätfolgen des Chemiewaffeneinsatzes im Vietnamkrieg hin. Die Kleidungsstücke sind mit Namen der Firmen versehen, die Agent Orange herstellten. Lê führt so weg von dem in Vietnam verbreiteten Bild des erfolgreichen Krieges, bei dem die Spätfolgen verschwiegen werden.

Dioxin, das in Agent Orange benutzt wurde, verschmutzt weiterhin die Erde des Landes und sorgt für Schäden am Erbgut, die zu starken Behinderungen führen können. Weder die USA noch Vietnam wollen sich dieser Problematik wirklich stellen. Bereits 1998 hat Lê, 1968 in Vietnam geboren und 1978 in die USA emigriert, diese Arbeit in Ho-Chi-Minh-Stadt gezeigt. Mit dem Verkauf seiner Kunstprodukte an einem lokalen Marktstand forderte er zur öffentlichen Auseinandersetzung mit diesem Tabuthema im eigenen Land auf. Der Kiosk als Ausstellungsort ermöglichte es ihm, die vietnamesische Zensur zu umgehen.

Die von Veronika Radulovic kuratierte Show thematisiert auch den schwierigen Prozess des Entstehens einer zeitgenössischen Kunstszene. An der wichtigsten Kunsthochschule des Landes wurde noch Anfang der 90er-Jahre eine ausschließlich traditionelle Ausbildung angeboten, die sich am Kopieren alter Meister und ideologischer Propagandakunst orientierte. Heute ist die Situation noch immer zu bemängeln.

Nguyen Thu Ha tut dies mit viel Ironie. „Yet Kieu“ (2006) heißt die Straße, in der die Hochschule der schönen Künste in Hanoi liegt und die diese umgangssprachlich auch benennt. Mit einem nachgemalten Straßenschild in dreifacher Ausführung – in Lack, Öl und Seide – weist die Künstlerin auf die dort vorgesehenen Ausdrucksmittel hin und stellt die kunsthandwerkliche Ausrichtung infrage. Dass sich trotz der wenigen Ansätze, die über Kunstentwicklungen in malereifernen Bereichen unterrichten, diese zunehmend verbreiten, ist vor allem Eigeninitiativen zu verdanken.

Ende der 90er-Jahre organisierten sich zum Beispiel einige junge Künstler im Privathaus des Künstlers und Antiquitätensammlers Nguyen Manh Duc. In der Ausstellung dokumentiert ein Video die zehn Jahre des experimentellen Nha San Studios, das Tran Luong mit initiierte. Luongs erste Performance, „Gekochter Reis“ (2001), die er in einem Kohlebergbaugebiet aufführte – am ganzen Körper mit Reis beklebt, schwärzt er sich die Hände mit Kohlenstaub – ist auch zu sehen.

Truong Tan, dessen übergroße Windel (2007) einen schmunzeln lässt, zählt ebenfalls zu den Vorreitern. Tans textiles Objekt besteht in der Innenseite aus 148 Brusttaschen, die einer Art Funktionärsjackett entnommen sind und seiner Meinung nach mit wer weiß wie viel Geld voll gestopft sind, korrupter „Dreck“, der von dieser Riesenwindel aufgesaugt werden soll. Tans Stellungnahmen und Provokationen ließen ihn zum Enfant terrible werden, aber auch zum Vorbild der jungen vietnamesischen Kunstszene.

Gemeinsam ist den vielfältigen Ansätzen, dass sie sich alle mit der Situation des eigenen Landes beschäftigen. Tran Luong, dessen tarnfarbener „Irrweg“ sich über den Boden schlängelt, empfindet sie von Verschwommenheit und Ohnmacht geprägt. Dass sich das Land im Umbruch befindet, zeigt auch Ly Hoang Lys „Erbschaftstruhe“ (2007). Sie mischt echte und künstliche Rosen in einer metallenen Kiste mit Epoxidharz. Die echten verbrennen, während die künstlichen weiterhin frisch und lebendig wirken. Lys Truhe ist ein Bild für die nächste Generation, die nicht mehr genau zwischen echten und unechten Werten unterscheiden kann.

■ Kunstszene Vietnam, bis 5. April 2010, ifa-Galerie, Linienstraße 139/140, Katalog, 152 Seiten, Kerber Verlag, 21 €