: Selbstvertrauen der Auserwählten
Sollten die anderen Länder hoffen, dass die USA dem Kioto-Protokoll beitreten, ist das bewundernswert – und töricht. Die USA schließen nur Verträge ab, die ihnen nutzen
Auch die neue Runde des Kioto-Protokolls muss sich damit auseinander setzen, wie mit den unkooperativen USA umgegangen werden soll. Die gängige Haltung ist: Die Amerikaner müssen irgendwie davon überzeugt werden, dass sie mitmachen. Das ist bewundernswert, optimistisch und töricht. Die USA werden das Protokoll wohl kaum unterzeichnen, sie haben es auch nicht unter dem demokratischen Präsidenten Bill Clinton getan. Hinzu kommt: Wenn sie es unterzeichnen sollten, heißt das noch nicht, dass sie ein verlässlicher Partner für die anderen Nationen sind.
Das ist nicht so, weil es keine Amerikaner gibt, die sich um die Umwelt sorgen. Das tun viele. Der Grund sind vielmehr die Vorstellungen der Amerikaner von internationalen Beziehungen, die unsere auswärtige Politik zwei Jahrhunderte lang geprägt haben. Kurz gesagt: Die USA unterwerfen sich internationalen Vereinbarungen in der Regel nur dann, wenn sie einen kontrollierenden Einfluss ausüben können. Das wäre bei den Kioto-Verträgen nicht der Fall, da die Teilnehmer Ziele verfolgen, denen sie sich verpflichtet fühlen, ob die USA damit einverstanden sind oder nicht.
Diese Sicht auf internationale Beziehungen hat eine lange Geschichte in Amerika. Im 18. und 19. Jahrhundert wurde das Misstrauen gegenüber „verwickelnde Allianzen“, wie Jefferson sich ausdrückte, zumindest teilweise stark begünstigt. Die Amerikaner der ersten Stunde verstanden sich als die einzigen Demokratie der Welt. Um dieses fragile Experiment nicht zu gefährden, wurde tunlichst vermieden, Verpflichtungen gegenüber dem Ancient Regime einzugehen. Der bedeutendste Sieg in Amerikas erstem Jahrzehnt Außenpolitik war es, den Krieg mit England und Frankreich zu vermeiden, während die beiden Krieg gegeneinander führten.
Amerikas Bewusstsein seiner außergewöhnlichen Demokratie führte auch zu dem Glauben, stets auf der richtigen Seite von Gott und Geschichte zu stehen. In den Worten von Herman Melville: „Wir Amerikaner sind besonders auserwählte Menschen – das Israel unserer Zeit.“ Diese Geisteshaltung ermutigte die Amerikaner nicht gerade, sich an Projekten anderer zu beteiligen, und der wirtschaftliche und politische Erfolg des Landes bestärkte dieses einseitig orientierte Selbstvertrauen.
Die wirtschaftlichen Interessen hatten immer einen starken Einfluss auf Amerikas internationale Beziehungen. Von Anfang an war die US-Außenpolitik expansionistisch und diente der nationalen Bereicherung. Das ist nichts Außergewöhnliches und gilt gleichermaßen für die europäischen Mächte. Während jedoch die Länder in einem Europa voller historischer Feinde Bündnisse schließen mussten, um den Frieden zu sichern und wirtschaftlich expandieren zu können, taten das die USA nicht. Ein Jahrhundert lang brachten internationale Verträge kaum Vorteile für die USA, und die kontinentale Expansion erforderte wenige. Dort, wo eine politische Bindung eingegangen wurde, wie mit Mexiko, wurde sie gebrochen, um Amerikas „augenscheinliche Bestimmung“ zu erfüllen, den Kontinent zu besetzen. Das heißt nun nicht, dass die USA nie Verträge abschließen. Das ist durchaus der Fall, aber stets zu ihren Gunsten, etwa um in Europas „Wirtschaftsgeflecht“ und in Einflussbereiche in China, Japan und Lateinamerika vorzudringen.
Im 20. Jahrhundert schien der amerikanische Wohlstand zu beweisen, dass der „American Way of Life“ der richtige war. Europa auf der anderen Seite schien im Chaos seiner dahinsiechenden Monarchien und im Krieg zu versinken. Doch die Vorbehalte gegen den vorgeschlagenen Völkerbund waren groß. Großbritannien war eben noch immer die Finanzmetropole der Welt und Europa immer noch eine starke Kolonialmacht. Amerika hätte also den Völkerbund nicht beherrschen können. Der US-Kongress stimmte ohne Mühen dagegen.
Die Vereinten Nationen waren ein leichterer Fall für Amerika, da allen klar war, dass die USA die kommenden Jahrzehnte das Sagen haben würde. Auch der Sowjetblock konnte den Einfluss Amerikas nicht bedrohen, er stärkte ihn sogar, da Länder in der ganzen Welt dem sowjetischen Einflussbereich entgehen wollten. Kurz gesagt: Die Vereinten Nationen waren eine „Verwicklung“, der Amerika zustimmen konnte. Solange der Kalte Krieg andauerte, solange dauerten auch viele internationale Vereinbarungen an, die hauptsächlich zu US-Bedingungen abgeschlossen worden waren.
Ich weiß, dass Amerikas Abneigung gegen „Verwicklungen“ den Nachkriegseuropäern schwer zu vermitteln ist, die auf 50 Jahre Erfahrung mit produktiven amerikanischen Verträgen zurückblicken, angefangen mit dem Marshallplan und der Nato. Ich denke auch nicht, dass die USA niemals produktive Verträge eingehen, sondern vielmehr, dass sie nur solche abschließen, in denen sie einen beherrschenden Einfluss ausüben können. Die USA haben sich in zahlreichen Verträgen für den Wiederaufbau Nachkriegseuropas engagiert, da die starke Motivation bestand, einen Puffer gegen die Sowjets aufzubauen. Und die Amerikaner haben in diesen Verträgen stets ihre Bedingungen durchgesetzt. Als Amerikas Möglichkeiten, die UNO zu kontrollieren, abnahmen, nahm auch deren Bedeutung in den Augen der Amerikaner ab. Die USA hörten auf, ihre Beiträge zu zahlen (die Zahlungen wurden indessen wieder aufgenommen), die Institution genießt keinen besonders guten Ruf, und Präsident Bush hat mit John Bolton einen Botschafter ernannt, der die UN verachtet.
Was sollen nun die Unterzeichner des Kioto-Protokolls mit den USA tun? Nichts. Lassen wir die US-Regierung auf ihre nationale Umweltbewegung reagieren. Da die Bedingungen, die Amerika historisch dazu bringen konnten, Verträge zu schließen, nicht gegeben sind, ist es nur frustrierend, sich um die Teilnahme der USA zu bemühen.
Eine Teilnahme Amerikas wäre nur mit einem anderen Präsidenten und einer veränderten Mehrheit im Kongress möglich, und aufgrund der Dringlichkeit, die Umweltbelastungen zu reduzieren, sollte die Welt nicht darauf warten. Hinzu kommt: Sollten die USA tatsächlich unterzeichnen, gibt es wenig Gründe anzunehmen, dass sie sich zuverlässiger erweisen als gegenüber Mexiko oder den UN.
Die teilnehmenden Länder täten besser daran, die Umweltstandards und Durchsetzungswerkzeuge weiterzuentwickeln. Wenn die Organisation aufgebaut ist, werden die anderen schon mitmachen. Die SPD hat konkrete Vorschläge für eine solche Entwicklung. Die USA wollen draußen bleiben? Überzeugen wir sie. Vielleicht wird eines Tages der Erfolg einer internationalen Organisation, in der die USA nicht einmal Mitglied sind, bewirken, dass sie sich anders besinnt. Denn darum geht es: um einen Gesinnungswandel in Amerikas tief wurzelnder Vorstellung von „Verwicklungen“. In der Zwischenzeit ist der Planet unser dringliches Problem, es sind nicht die USA. MARCIA PALLY
Aus dem Engl. von Regina Weps