: „Kein Urteil über den Strahlenskandal“
Freispruch nach 13 Jahren für Hamburger Radiologiechef – das Gericht entschied nur den „traurigen Einzelfall“
HAMBURG taz ■ Klaus-Henning Hübener ist rehabilitiert. Fast dreizehn Jahre nach dem Strahlenskandal an der Hamburger Uniklinik hat das Hamburger Landgericht den früheren Chefarzt der Radiologie vom Vorwurf freigesprochen, fahrlässig den Tod der Darmkrebspatientin Irene S. verursacht zu haben. Das Gericht betonte mehrfach, dass es nur über diesen „traurigen Einzelfall“ zu urteilen hatte. „Wir haben keine Entscheidung über einen Strahlenskandal getroffen.“
Was sich zwischen 1986 und 1993 am Hamburger „Universitätskrankenhaus Eppendorf“ (UKE) ereignete, gilt als einer der größten Medizinskandale der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte. 1986 übernahm Hübener die Leitung der Radiologie. Dort praktizierte der Professor bei Krebspatienten die „Sandwichmethode“: Er bestrahlte krankes Gewebe vor und nach der Tumoroperation.
Die Methode wurde nicht nur am UKE angewandt. Hübener entwickelte aber ein eigenes Konzept über Strahlendosis und -frequenz. Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, das habe „experimentellen Charakter“ gehabt. Er habe eine „ungeprüfte Mixtur“ von Methoden ausprobiert. Hunderte Patienten beklagten Strahlenschäden, etwa Verbrennungen. Rund 300 Patienten meldeten Schadensersatzansprüche an. Die Stadt, Trägerin des UKE, zahlte an 120 Kranke, Angehörige und Krankenkassen rund 20 Millionen Euro.
Das Landgericht sagte, dass es Ende der Achtzigerjahre keine Standardmethode zur Krebsbestrahlung gegeben habe. Das Sandwichkonzept sei nicht die Erfindung des Angeklagten gewesen, er habe nur die Strahlendosis variiert – im Konsens mit allen beteiligten Ärzten. Insoweit sei Hübeners Konzept damals „ein vertretbarer Versuch zur Verbesserung der Behandlungsergebnisse“ gewesen. Es sei das „Dilemma“ jeder Strahlentherapie, dass gesundes Gewebe angegriffen werden kann.
So war es bei Irene S. Ihre Darmkrebsbehandlung 1988 in Hübeners Abteilung hatte schwerste Nebenwirkungen: Sie hatte gynäkologische, urologische, neurologische Störungen sowie erhebliche Probleme am Dünndarm. Für die Kammer steht außer Frage: Die Strahlenbehandlung von Irene S. war „mit ursächlich“ für ihren Tod 1999.
Nur: Hübener persönlich könne dafür nicht zur Verantwortung gezogen werden. Zwar wurde Irene S. nach der seiner Sandwichmethode bestrahlt. Die gravierendsten Schäden aber seien auf eine zusätzliche Bestrahlung der Leistengegend zurückzuführen – und die hatte nicht ein Oberarzt durchgeführt. Die Zusatzbehandlung war laut Gericht „nicht indiziert und fehlerhaft“ – dem Chef aber nicht anzulasten. Trotz des strafrechtlichen Freispruches sei indes „eine zivilrechtliche Entschädigung für Irene S. angemessen“ gewesen.
Anwalt Michael Oltmanns, der den Ehemann der Verstorbenen vertritt, überlegt, gegen den Freispruch juristisch vorzugehen. Es sei „nicht überzeugend, dass die Verantwortung dem Oberarzt angelastet wird und nicht dem Chefarzt“. Auch Oberstaatsanwalt Wagner will seiner Behörde Rechtsmittel empfehlen.
Doch auch der Staatsanwalt hatte zuletzt nur eine geringe Geldstrafe für den Radiologen verlangt. Wäre er früher vor Gericht gekommen, sagte der Ankläger vorige Woche, hätte er eine Freiheitsstrafe auf Bewährung verlangt. 13 Jahre nach Bekanntwerden des Skandals aber forderte nur eine Geldstrafe in Höhe von 9.000 Euro. Hübener sei schon dadurch bestraft, dass er seit 1993 vom Dienst suspendiert ist. Dass das Verfahren sich so lange hinausgezögert hat, bezeichnet Oltmanns als „Skandal im Skandal“. Das Landgericht schloss seine Urteilsbegründung damit, dass „die beruflichen Nachteile des Angeklagten nicht im Verhältnis zur strafrechtlichen Relevanz dieses Verfahrens stehen“. ELKE SPANNER