Religiöse Architektur: Lebendiger Abschiedsort

Die jüdische Gemeinde hat nun eine Trauerkapelle - und damit erstmals seit der Shoa wieder die Möglichkeit, ihre Toten allen Riten gemäß zu bestatten

Frische Gräber, frischer Bau: Der neue jüdische Friedhof in Riensberg. Bild: Henning Bleyl

Die Architektur ist großartig. Eine elliptische Schale schirmt die jüdische Trauerkapelle zur Beckfeldstraße hin ab. Doch aus dem Versammlungsraum heraus ermöglichen große Fenster den ungehinderten Blick auf die Friedhofsflächen. Strahlend weiße Wände und roter Teppich geben dem Gebäudekomplex eine fast heitere Festlichkeit, die von der kühlen Klarheit der Konturen angemessen gefasst wird.

Dieses Gebäude ist nicht nur schön, es wird dringend gebraucht. „Ein neuer Friedhof ist ein Zeichen für Leben“, sagte zur Einweihung am vergangenen Donnerstag Bürgermeister Jens Böhrnsen, der sich damit im Einklang mit der jüdischen Theologie befindet. Doch wo der Bürgermeister, der auch als Kirchensenator amtiert, einen schlichten Umkehrschluss im Sinn hat – gestorben wird, wo gelebt wurde – werten orthodoxe Rabbiner wie der eigens aus Jerusalem angereiste Moshe Nidam das Sterben sogar höher als das Leben. Mit grauem Vollbart und hohem Hut steht Nidam vor der Festgemeinde. Sein Hebräisch klingt ehrfurchtgebietend-direktiv. In Jerusalem ist er auch als religiöser Oberrichter tätig. „Respekt vor den Toten“ sei noch wichtiger als der vor den Lebenden, lässt Nidam sich übersetzen. Elvira Noa, die hiesige Gemeindevorsitzende, drückt es so aus: „Dieses Haus wird viele Tränen sehen. Dennoch ist seine Einweihung ein Grund zur Freude.“

In der Tat hat der Frankfurter Architekt Alfred Jacobi, der bereits zahlreiche jüdische Sakralbauten entwarf, in der Gesamtgestaltung ein kleines Meisterwerk abgeliefert, das nur durch die Lichtarmut sekundärer Innenräume gemindert wird. Aus der Vogelperspektive gesehen folgen Friedhof und Kapelle der Form des kabbalistischen, elliptisch angelegten Lebensbaumes. Allerdings hat der schwierige Baugrund, der schon bei der Anlage des neuen jüdischen Friedhofs die Aufschüttung unendlicher Sandmengen erforderte, zu mancher Verzögerung und Kostensteigerung geführt. Riensberg ist eben eine nasse Gegend.

Eine Million Euro kostete der Bau schließlich, bezahlt zu zwei Dritteln aus dem Bremer Haushalt, das Übrige von der Gemeinde und Sponsoren. Die Einsparungen, die die nicht eingeplanten Mehrkosten kompensieren mussten, haben zum Teil zu durchaus guten Ausführungsänderungen geführt. So wurde der vorgesehene Sarg-Aufzug weggelassen und das Gebäude dafür mit einem spiralförmigen, stufenlosen Gang in die untere Etage versehen – ein wesentlich würdigerer Weg für einen Toten, den Kapellenraum zu verlassen als mit Hilfe technischer Einbauten. Landesrabbiner Natanel Teitelbaum hatte ohnehin Sorge, dass so ein Aufzug im Ernstfall auch mal stecken bleiben könne.

In Hastedt, auf dem wunderschönen alten jüdischen Friedhof, finden nach wie vor Beerdigungen statt, aber nur vereinzelt – in für Ehepartner reservierten Gräbern beispielsweise. Dort existiert kein fester Raum für die rituellen Totenwaschungen. „Erstmals seit der Shoa haben wir in Bremen wieder die Einrichtungen, die wir brauchen, um unsere Toten nach allen Regeln zu begraben“, sagt Noa. Zwei Räume gibt es nun für die Waschungen, geschlechtergetrennt. Daneben liegt ein Raum der Stille zum Abschiednehmen.

Die eher konservative Bremer Gemeinde, deren Rabbiner Teitelbaum Initiator und Gründungsmitglied der orthodoxen Rabbinerkonferenz ist, erlebt im Moment zwar einen Rückgang im Mitgliederstand – von 1.200 sank er auf derzeit rund 1.000. Trotzdem ist das dank der Zuwanderung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine sehr stabile Zahl.

Jakob Manneberg erinnert sich noch gut an die Zeiten, als die Gemeinde so klein war, dass manchmal der Gottesdienst ausfallen musste. Mindestens zehn Männer müssen für ihn zusammenkommen, sagt die Vorschrift. „Damit haben wir heute keine Probleme mehr“, sagt Manneberg, der Deutschland 1938 mit seinen Eltern verließ und Ende der 50er aus Israel zurückkehrte.

Jüdische Gräber können nicht aufgelöst werden, ein großer Gegensatz zur Kurzfristigkeit der christlichen Totenruhe. Böhrnsen findet auch hierfür, mit Blick auf den Friedhof, passende Worte: „Sie leben mit uns und sie wollen bleiben. Dafür danke ich Ihnen.“

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