: Mitgefangen, mitgehangen
SKANDALE Nordirlands Premier Peter Robinson legt wegen der Affäre um seine Frau sein Amt vorübergehend nieder. Auch Sinn-Féin-Chef Gerry Adams ist in eine Affäre verwickelt
■ Peter Robinson, 61, trat 1971 bei ihrer Gründung in die radikal-protestantische DUP ein. Seit 1979 ist er britischer Unterhausabgeordneter. 2008 übernahm er das Amt des nordirischen Premierministers. Er gilt als Hardliner.
■ Gerry Adams, 61, wurde 1971 wegen IRA-Mitgliedschaft – die er bis heute bestreitet – zu einer Haftstrafe verurteilt. 1983 wurde er Chef von Sinn Féin und ins Unterhaus gewählt, dem er immer noch angehört. Den Sitz nahm er nie an.
AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK
Peter Robinson ist nicht länger Premierminister von Nordirland. Am Montag ließ der Vorsitzende der radikal-protestantischen Democratic Unionist Party (DUP) wissen, dass er sein Amt „vorübergehend niedergelegt“ habe. Bis auf weiteres werde Unternehmensministerin Arlene Foster die Amtsgeschäfte übernehmen. Er werde sich in den nächsten sechs Wochen „um Familienangelegenheiten“ kümmern, sagte Robinson in einer Erklärung. Ähnlich wie Gerry Adams, der Präsident der anderen Regierungspartei, der katholischen Sinn-Féin, ist Robinson in einen Skandal verwickelt, bei dem es vordergründig um die Verfehlungen einer Familienangehörigen geht. Doch beide haben sich selbst in die Affären verstrickt.
Robinsons Frau Iris musste bereits zuvor ihre Sitze im Belfaster Regionalparlament, im Bezirksrat und im Londoner Unterhaus abgeben. Darüber hinaus wurde sie am Samstag aus der Partei ausgeschlossen. Der Hintergrund, der nun auch ihren Mann dazu bewog, sein Amt ruhen zu lassen, ist die kürzlich öffentlich gewordene Affäre, die die heute 60-Jährige vor zwei Jahren mit dem damals 19-jährigen Kirk McCambley hatte.
Als ihr Mann die Sache im März herausbekam, versuchte sie sich mit Tabletten zu vergiften. Vorige Woche beteuerte sie in einer Presseerklärung, wie sehr sie diese Affäre bedauere und wie glücklich sie sei, dass ihr Mann ihr eine zweite Chance gegeben habe. Am Sonntag enthüllte die Sunday Tribune, dass Robinson nicht nur mit dem Teenager im Bett war, sondern auch mit dessen Vater sowie, in den Achtzigern, mit einem DUP-Kollegen. All das wäre ihre Privatsache, auch wenn es von extremer Verlogenheit zeugt. Schließlich hat Iris Robinson, deren Lieblingsbuch nach eigenen Angaben die Bibel ist, stets ihre Musterehe und ihren tiefen Glauben herausgestellt und weniger glaubensfeste Menschen geschulmeistert. So hatte sie im Sommer 2008 eine Hasstirade gegen Homosexuelle losgelassen, deren Verhalten sie als „widerliche Abscheulichkeit“ bezeichnete, die psychiatrischer Behandlung bedürfe. „Wie ein Mörder, so kann auch ein Homosexueller durch das Blut Christi erlöst werden“, sagte sie und fügte hinzu, dass Schwule schlimmer seien als Kinderschänder.
Aber es gibt auch einen finanziellen Aspekt der Affäre, und der könnte die Regierung zu Fall bringen. Iris Robinson hatte ihrem Liebhaber in ihrer Eigenschaft als Bezirksverordnete ein ausgemustertes staatliches Fremdenverkehrsbüro zugeschanzt, in dem er einen Schnellimbiss eröffnete. Den Kredit in Höhe von 50.000 Pfund für den Umbau beschaffte sie ihm von zwei Bauunternehmern, für die sie Lobbyarbeit betrieb. 5.000 Pfund zweigte sie für sich ab, obwohl sie und ihr Mann über ein Jahreseinkommen von 600.000 Pfund verfügen. Nachdem der Teenager die Beziehung beendete, forderte sie die restlichen 45.000 Pfund zurück. McCambley musste die Hälfte seiner Anteile an dem Geschäft verkaufen.
Robinson hätte laut Parteiengesetz ihre Rolle bei der Kreditvergabe vor dem Parlament offenlegen müssen. Das tat sie ebenso wenig wie ihr Mann. Am Mittwoch wies Peter Robinson bei einem tränenreichen Auftritt alle Anschuldigungen von sich: „Ich wusste nichts davon, was nicht überraschend ist, wenn jemand eine Affäre vor dir geheim hält.“ Es war ein Oscar-reife Vorstellung, als Robinson stockend vom Selbstmordversuch seiner Frau sprach. In Wirklichkeit ließ er seine Frau, nachdem sie die Tabletten geschluckt hatte, im Haus zurück und trug ihrem Mitarbeiter Selwyn Black auf, sich um den Rettungsdienst zu kümmern. Black war es auch, der die Affäre nun ans Licht brachte.
Der ehemalige Methodistenpfarrer und Militärkaplan hatte die Nase voll von ihrer Rachsucht gegen McCambley und kündigte im Dezember seinen Job als Berater. Iris Robinson hatte ihm mehr als 150 Kurzmitteilungen auf sein Handy geschickt. Eine davon könnte unangenehm für Peter Robinson werden. „Er weiß von dem Geld, und er versucht, sich die Hände nicht schmutzig zu machen“, schrieb Iris Robinson im Januar 2009 an Black. „Er sagt, das Geld müsse über Anwälte zurückgezahlt werden.“
Peter Robinson hat nun beim Rechtsberater der Regierung ein Gutachten bestellt, das klären soll, ob er sich falsch verhalten hat. Die graue Eminenz der DUP, der 83-jährige presbyterianische Pfarrer Ian Paisley, der die Partei 1971 gründete und bis vor zwei Jahren führte, hat seine Unterschrift unter die Solidaritätserklärung für Peter Robinson bisher verweigert.
Andere Funktionäre der DUP forderten am Wochenende gar Robinsons Rücktritt. Sie befürchten, dass die Angelegenheit ihrer Partei bei den britischen Parlamentswahlen im Frühjahr schaden könnte. Tatsächlich haben sich die Robinsons sich zum Gespött des Landes gemacht. Über den Premierminister und die First Lady kursieren zahlreiche Witze. Und der Song „Mrs. Robinson“ aus dem Film „Reifeprüfung“ über die Affäre einer Frau Robinson mit einem 20-jährigen, im Film von Dustin Hoffman gespielt, erfreut sich derzeit in Nordirland großer Beliebtheit.
Bei einem Rücktritt müssten wohl Neuwahlen in Nordirland ausgeschrieben werden. Daran ist weder der DUP noch Sinn Féin gelegen, denn auch der katholische Juniorpartner in der Koalition hat interne Probleme. Vor kurzem ist der Kindesmissbrauch in der Familie des Sinn-Féin-Präsidenten Gerry Adams bekannt geworden. Die Tochter seines Bruders, Áine Tyrrell, erklärte, dass sie seit ihrem vierten Lebensjahr über einen Zeitraum von acht Jahren von ihrem Vater regelmäßig vergewaltigt worden sei. Gerry Adams erfuhr davon 1987, und er glaubte seiner Nichte, wie er sagt. Unternommen hat er dennoch nichts.
Erst jetzt, als die heute 35-jährige den Fall öffentlich machte, äußerte er sich dazu. In einer ähnlich choreografierten Pressekonferenz wie bei Robinson erzählte er, dass sein Vater, ein angesehener Republikaner, der vor sechs Jahren mit militärischen Ehren der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) begraben wurde, ebenfalls einige seiner Kinder vergewaltigt habe. Ein solches Eingeständnis war nicht leicht, aber wie bei Robinson halten viele das für ein Ablenkungsmanöver.
Adams hat gelogen, als er in derselben Pressekonferenz behauptete, er habe, nachdem ihn seine Nichte über den Missbrauch informiert hatte, keinen Kontakt mehr zu seinem Bruder unterhalten und dafür gesorgt, dass er aus der Partei ausgeschlossen worden sei.
Tatsächlich aber arbeitete Liam Adams nicht nur mit Kindern in unmittelbarer Nachbarschaft des Sinn-Féin-Präsidenten in Parteiprojekten in Belfast, er stieg später auch zum führenden Sinn-Féin-Politiker in der irischen Grenzstadt Dundalk auf. Er war Vorsitzender des dortigen Sektion und verantwortlich für den direkten Kontakt zur Sinn-Féin-Führung – also zu seinem Bruder. Der ließ sich beim gemeinsamen Wahlkampf, bei Liams Eheschließung mit seiner zweiten Frau sowie bei der Taufe ihres Kindes einträchtig mit Liam fotografieren, obwohl er angeblich zu der Zeit nichts mehr mit ihm zu tun hatte.
Adams ist gläubiger Katholik und regelmäßiger Kirchgänger. Vier Bischöfe seiner Kirche in der Republik Irland mussten um Weihnachten zurücktreten, weil sie bei den Missbrauchsfällen untätig geblieben waren, um ihre Institution zu schützen. Sie versetzten die pädophilen Pfarrer und Mönche höchstens in andere Gemeinden, wo sie neue Opfer fanden. Nichts anderes habe Adams getan, meinen seine Kritiker, als er seinen Bruder in den Jugendprojekten in Belfast und Dundalk gewähren ließ. Die Polizei, der die Vorwürfe bekannt waren, behelligte Liam Adams ebenfalls nicht, was den Verdacht nahelegt, dass sie ihn als Spitzel benutzt hat.
Die Skandale treffen eine Regierung, die trotz der bald drei Jahre ihrer Existenz ein fragiles Zwangsbündnis geblieben ist. Zwar ist eine Rückkehr zum bewaffneten Konflikt, der zwischen 1969 und 1998 3.500 Menschenleben kostete, undenkbar. Denn die IRA-Dissidenten haben keinen Rückhalt in der Bevölkerung mehr, wie ihn die IRA früher hatte. Aber sie sind immer noch in der Lage, tödliche Aktionen durchzuführen. Voriges Jahr wurden zwei britische Soldaten und ein Polizist getötet, am Freitag wurde ein Polizist durch eine Autobombe schwer verletzt. Die Instabilität der Regierung nutzt den Dissidenten, und instabil war sie bereits, bevor die Skandale bekannt wurden: Seit Monaten streiten die Koalitionspartner um die Übertragung der Justiz- und Polizeigewalt von London nach Belfast. Sinn Féin wollte das bis Weihnachten abschließen. Robinson argumentierte, dass Sinn Féin, der ehemalige politische Flügel der IRA, noch nicht reif für diesen Schritt sei.