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Archiv-Artikel

Steht der Bauer nackt im Felde …

Die wendländische Bäuerliche Notgemeinschaft will „Sand ins Getriebe“ der Atomindustrie streuen – splitterfasernackt

VON JAN FEDDERSEN

Die Idee ist ja nicht neu: Menschen ziehen sich aus, posieren, gucken in Kameras – und veröffentlichen die Fotografien als Kalender. Immer auf eine Weise, die selbstbestimmt genannt werden kann – und somit fern einer Anmutung, die überwiegend von Pin-up-Girls repräsentiert wird: Folien eines sterilisierten Entwurfs der sexuellen Verlockung. Das Kalendarische, von dem hier jedoch die Rede ist, bedient sich zwar ebenso der Mittel der Enthüllung, andererseits wird sie von Models in Szene gesetzt, die eben keine Models sind.

Gänzlich entblößte Nacktheit ist nicht immer Bedingung des ästhetischen Entwurfs, aber Textilarmut, eine gewisse schutzlose Pose also, immer. Feuerwehrmänner, Militärangehörige unterschiedlichster Ränge, Sanitätsleute oder Handwerker haben es schon getan – und fast immer sind es Männer, die sich anders als sonst zeigen: aufgeknöpft sozusagen. „Men at work“ scheint das Motto zu sein, in das zugleich eine Brechung eingewoben ist: keine Darstellungen von Arbeitern, sondern Arbeiter. Echtes Leben, wahres Posing, Inszenierung in gelegentlich schüchternster Authentizität.

Das ist auch die Differenz zu allen absichtsvoll auf Erotik und Sex zielenden kalendarischen Druckerzeugnissen. Es sind Menschen, die man als Nachbarn vielleicht kennt oder sie wenigstens kennen könnte: Und es wären dann immer noch die Feuerwehrleute oder Unterfeldwebel, als die sie medial etabliert wurden. Auffällig an all diesen kulturellen Zeugnissen ist freilich, dass sie durch die Bank vom proletarisch-gewöhnlichen Habitus leben: Die Männer sehen aus, wie man als Mann eben aussieht, wenn man seinen Alltag nicht der Anforderung unterwirft, chronisch ins Sportstudio zu gehen. Und es müssen ja Männer sein, in diesem Genre, denn Kalendermädchen gibt es genug – und sie sehen meist wie gelackte Lolita-Fantasmen aus. Männer, nackt, die sich nicht verschämt verstecken – als legten sie die Karten auf den Tisch: Das war das Tabu, das es zu konterkarieren galt. Keine Überkandideltheit, weil zu schwul, keine patriarchale Protzerei, das wäre zu gewöhnlich.

Alle Kalender leben von einer gewissen Unebenheit des Körperlichen. Man sieht Spuren von Leben, Narben, Pickel, Falten, Bäuche ohne Schmetterlingsgravuren und Arme, die nach Muskeltätigkeit aussehen, jedoch nicht nach Kraftmaschinen.

Der Solikalender der New Yorker Polizei für die Opfer des 11. September litt allerdings ein wenig darunter, dass die Kerle allesamt etwas zu retuschiert aussahen – aber die Photoshop-Behandlung hat nur dazu geführt, dass ihre Aura irgendwie etwas zu krass von dem erzählte, was landläufig als männlich-homosexuell gilt. Dabei kommt es doch darauf an, undeodorierten, frischen Schweiß, der bei den Aufnahmen mutmaßlich verströmt wurde, wenigstens ahnen zu können – zu riechen gar.

Kein Wunder, dass alle Kalender, ausnahmslos, in den working classes angesiedelt sind. Wie ja auch die entsprechenden Filme, die in den gleichen Milieus spielen, gern in England gedreht: „Calendar Girls“ (hier sind es propere Frauen, die sich ausziehen, um sich selbst aus der Patsche zu helfen) oder andere, „Ganz oder gar nicht“, bald auch als Musical, die allesamt davon berichten, dass eine Gruppe in Not ist (Arbeitslosigkeit meist, Bergarbeiter, die ihre Jobs und mit ihnen ihre Heimat zu verlieren drohen) und sich nicht anders zu helfen weiß, als das beste und schönste Kapital einzusetzen. Deshalb haben diese Kalender auch durchweg ein solidarisch gesinntes Unterfutter: Im Kaufpreis steckt immer eine Summe, die guten Zusatzzwecken dient.

Womit die Rede kommen muss auf den feinsten Kalender dieser Art – in dieser Saison: den der Bäuerlichen Notgemeinschaft Lüchow-Dannenberg, eine, wie es heißt, „Po-Motion“ für die Rechtshilfe Gorleben, um dem Ausstieg aus der Atomenergie weiterhin juristischen Beistand zu sichern. Nun ist das Gutgemeinte ja nicht identisch mit dem Guten – aber dieser Kalender verdient Respekt. Nicht dass die Models – heißen sie nun Uli Helmcke, Hans-Werner Zachow, Christoph Deckert, Ralph Gertz, Susanne Kamien, Wilhelm Meyer, Hermann Bammel, Philipp Malchartzeck, Christoph Schäfer, Hans-Jürgen Büsch, Martin Schulz oder Martina und Klaus-Bernd Meyer – nicht attraktiv wären: Was für sie alle spricht, ist, dass sie ihre Genitalien nicht bloßstellen, sie, scheu fast, mit ihren bäuerlichen Arbeitsgeräten verdecken. Und obendrein dabei allesamt etwas lampenfiebrig-ernsthaft gucken. Ihre Berufe stehen alle auf den Blättern verzeichnet – im Januar ist es ein Kartoffelbauer, im Dezember das Ehepaar Meyer, Ökobauern.

Man sieht Falten. Bäuche. Frisuren, die eigentlich keine sind. Menschen, die also gerade deshalb zur Schönheit kommen. Das Ehepaar Meyer beispielsweise ist obendrein die Überraschung des Kalenderjahres, bewahrt für den letzten Monat. Beide sind ganzkörperrasiert und brustgepierct, die Körperpflegefetische sind auch schon im Wendland angekommen, längst kein Privileg der Metropolen mehr. Oder der Septembermann, Uli Helmcke, der vor seinem Trecker steht und einen Kartoffelroder in den Händen hält, um seine Blöße zu bedecken. Ein Gerät, das er dringend benötigt, um seine Leibhaftigkeit nicht vollends preiszugeben – mit schwerer Waffe. Hübsch auch, dass ein Senior mitgemacht hat – und ein ganz junger, der so schüchtern guckt, wie man das nur in diesem Alter tun kann.

Man sollte sich diesen Kalender zulegen. Er ist ein Lehrstück der Kritik an pornografisierten Oberflächen, an sexistischer Raserei, an als überdrüssig empfundenen Zurschaustellungen von Intimem – schamfrei fast immer, intimitätsarm. Man kann trotzdem diese Männer (und zwei Frauen) für begehrenswert halten – doch es wäre eine erotisierte Spannung, die ihren Inhalt mit aus dem zieht, was die Calendar Boys (und Girls) im Wortsinn attraktiv macht: wirkliches Leben.

JAN FEDDERSEN, 48, taz.mag-Redakteur, freut sich in bauernkalendarischer Hinsicht besonders auf den goldenen Oktober 2006