: „Vor allem gute Kommunikation mit sich selbst“
Heilende Traditionen lebendig erhalten: Auf der Antilleninsel Curaçao entstand der größte Kräutergarten der Karibik. Manchmal kommen auch Ärzte
Es ist zwei Uhr mittags, und die Sonne brennt erbarmungslos auf den grauen, staubigen Boden. Um uns herum Felsen, Kakteen – und Sonne. Als die üppige grüne Oase vor unseren müden Augen aus dem Nichts erscheint, glauben wir an eine Fata Morgana. Doch wir sind nicht in der Wüste, sondern auf Curaçao, einer kleinen Insel in der Karibik.
Hier gibt es Likör, der aus Orangen gemacht wird und die Cocktails blau färbt, aber keine optischen Täuschungen. Und die kleine Frau, die zwischen den Bäumen hervortritt und uns mit strahlenden Augen begrüßt, ist so echt wie der blühende Garten, aus dem sie kommt. Glücklicherweise gilt das auch für das kühle, anregende Getränk, das sie uns anbietet. Allein durch ihre Anwesenheit verbreitet Dinah Veeris Ruhe, Lebensfreude und Gelassenheit, sodass die drückende Mittagshitze schlagartig zur Nebensache wird.
Über gut einen Hektar erstreckt sich der größte Kräutergarten der Karibik, und die Medikamente in dieser überdimensionalen Apotheke bestehen aus prächtig blühenden Pflanzen aller Art. Über das grüne kleine Paradies wacht Dinah mit ungeheurer Energie: dass sie nächstes Jahr 67 wird, sieht man ihr nicht an. Schließlich beschäftigt sich die ehemalige Grundschullehrerin intensiv mit der physischen und psychischen Gesundheit ihrer Mitmenschen und der auf Curaccao entwickelten natürlichen Heilkunde.
Dabei wollte Dinah nicht viel von den heilenden Traditionen ihres Volkes wissen, als sie einst in die Niederlande zum Studieren aufbrach und später an vielen verschiedenen Orten ihren Beruf ausübte. „Als Kind habe ich zwar häufig Kräuter gegen alle möglichen Beschwerden bekommen“, erinnert sie sich, „Meine Mutter und Großmutter kannten sich da aus. Interessiert hat mich das aber nicht. Und später gab’s gegen Kopfschmerzen eben Tabletten. Ich habe nie gefragt, wo die Schmerzen eigentlich herkommen.“ Erst kurz nach ihrem 40. Geburtstag begann sie, die Dinge mit anderen Augen zu sehen. Sie war schwer krank und eine Operation konnte ihr Leiden nicht vollständig lindern. Für Dinah begann eine Odyssee von Krankenhaus zu Krankenhaus, von Arzt zu Arzt. Bis sie an einen indianischen Medizinmann geriet, dessen Untersuchung darin bestand, ihr in die Augen zu sehen. Er gab ihr Heilkräuter und einen schlichten Rat: besser auf sich zu achten. So gab sie 1981 ihren Beruf als Lehrerin endgültig auf und beschloss, selbst wieder die Schulbank zu besuchen. Erst lernte sie bei ihrer Mutter, später an der „California School for Herbal Studies“ in den USA. Zehn Jahre später war sie in der Lage, auf ihrer Heimatinsel das große, vorwiegend von Kakteen überwucherte Gelände zu kaufen und in ein Paradies der Naturheilkunde umzubauen. Vier Jahre dauerte die Verwandlung des Ödlands in das, was die Indianer dort lange vor der Kolonialisierung durch die Niederländer und Spanier bereits kultiviert hatten: einen Kräutergarten, der als Naturapotheke diente. Später brachten die spanischen Kolonialherren ihre kranken Sklaven zur Behandlung und nannten den Ort „En Paradella“. Die Inselbewohner änderten den Namen in „Den Paradera“: der Ort, an dem du dich zu Hause fühlst.
Doch nicht nur mit dem Namen ihres Kräuterparadieses erinnert Dinah an alte Traditionen: Lebensgroße Puppen dokumentieren die Geschichte der Insel und halten alte Bräuche in Bildern lebendig. Lebendig geblieben sind auch die Rituale ihrer Mutter. Zur Pflege der Pflanzen, so die alte Dame, seien zwei Dinge essenziell: den Vögeln lauschen und auf das Meeresrauschen hören. So kann Dinah heute das Wetter vorhersagen.
„Am Anfang haben sie mich ausgelacht“, sagt Dinah. Heute lacht niemand mehr, Termine bei ihr werden lange im Voraus gebucht. Aus der ganzen Welt kommen die Menschen zur Heilung, Ernährungsberatung, Körperpflege oder auch ganz allgemeiner Lebenshilfe – die Probleme reichen von Kopfweh über Depression bis hin zu Krebsleiden. Dinah versucht dann, vor allem die tieferen Ursachen des Problems zu ermitteln. „Manchmal kommen sogar Ärzte, die sich allerdings sehr schämen und versuchen, ihren Beruf vor mir geheim zu halten. Ich erkenne sie aber an ihren Fragen und freue mich über ihr Interesse.“ Andere Mediziner wiederum zeigen ganz offen ihre Begeisterung und schicken Patienten zu ihr. Dinah steht der Schulmedizin aufgeschlossen gegenüber: „Wenn bestimmte Krankheiten nur mit Kräutern geheilt werden sollen, kann das tödlich enden. Der umgekehrte Weg aber auch. Wir müssen zusammenarbeiten.“ Und ihr Geheimrezept für ein gesundes, glückliches Leben? „Bewusste Ernährung“, sagt Dinah, „und vor allem eine gute Kommunikation mit sich selbst.“
Annelie Dierks
Britta Liebert
Kräutergarten „Den Paradera“, Seru Grandi 105 A Curaçao Infos: dinahveeris@yahoo.com